Nochmals zum Hartz-IV-Urteil des BVerfG

Auf einen der besten Kommentare zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu den Regelleistungen im SGB II möchte ich an dieser Stelle besonders hinweisen. Auf den NachDenkSeiten kommentiert Wolfgang Lieb das Urteil unter der Überschrift „Eine schallende Ohrfeige, die nicht besonders weh tut“:

„Das mit Spannung erwartete Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist gefällt: Die Regelleistungen nach SGB II (”Hartz IV- Gesetz”) sind nicht verfassungsgemäß. Das Gericht verlangt einen absolut wirkenden Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, beim Umfang dieses Anspruchs bleibt es jedoch vage und lässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. …“ Mehr hier.

Auf einen Aspekt des Kommentars möchte ich aber gesondert eingehen. Wolfgang Lieb fragt, und es klingt resigniert: „Und was nützt die schönste verfassungsrechtliche Begründung eines individuellen Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, wenn weiter Geringverdiener gegen Hartz-IV-Empfänger aufgehetzt werden und die sog. Leistungsträger Hilfsbedürftige als Schmarotzer abstempeln?“ Und an anderer Stelle: „Ich erkenne in dem Urteil nicht viele Ansatzpunkte dafür, wie sich dadurch die Situation der Armen im Lande verbessern würde.“

Ich glaube, die verfassungsrechtliche Begründung eines individuellen Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum wird die Sanktionspraxis schon verändern. Die Vergabe eines „Ein-Euro-Jobs“ zur Prüfung der Leistungsbereitschaft muss angesichts eines solchen Grundrechts als schlicht verfassungswidrig angesehen werden. Denn eine Sanktion, die sich auf die Weigerung der Annahme eines solchen „Ein-Euro-Jobs“ stützen würde, wäre meines Erachtens nach rechtswidrig. Um damit auch die Frage aus diesem Beitrag zu beantworten: Zu den Sanktionen bzw. Sanktionsmöglichkeiten schweigt sich das Urteil aus.  Ob das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum durch Sanktionen beschnitten werden darf, war aber auch nicht Gegenstand des Verfahrens und somit nicht zu entscheiden. Jedenfalls steigen mit diesem Urteil die Chancen, sich gegen in der Regel unwürdige Maßnahmen wie „Ein-Euro-Jobs“  (Stichwort: Pflichtarbeit) zu wehren. Ansonsten dürften weitere Verfassungsbeschwerden gute Chancen haben.

Ein anderer Aspekt scheint mir aber noch wichtiger. So wie ich das Urteil lese, dürfte damit die weitere „Workfare-Diskussion“, zuletzt von Koch u.a. ins Spiel gebracht, erledigt sein. Eine vom Betroffenen zu erbringende Gegenleistung (Zwangsarbeit) für die Sozialleistung ist mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht zu vereinbaren. Dies ist für die weitere sozialpolitische Diskussion eine wichtige verfassungsrechtlich abgesicherte Position gegen „Workfare“-Modelle und andere sozialpolitische Schweinereien.

Zum Schluss: Jetzt wird sicherlich die Diskussion über Sachleistungen, z.B. beim Schulbedarf von Kindern, beginnen. Ich kann nur hoffen, dass jede Sachleistung oder jeder Gutschein für Sozialleistungsberechtigte als das erkannt wird, was es ist: eine Diskriminierung der Betroffenen. Bei den Erhöhungen des Kindergeldes oder der Freibeträge im Zuge des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes, die im Übrigen ALG II-Berechtigten nicht zugute kommen, wurde auch nicht gefragt, ob diese Beträge denn auch bei den Kindern ankommen. Oder ob diese Gelder nicht für teuren Rotwein oder teure Zigarren zweckentfremdet wurden. Denn wie sagte schon Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister in Berlin-Neukölln: „In der deutschen ….schicht wird es versoffen.“

2 Kommentare bei „Nochmals zum Hartz-IV-Urteil des BVerfG“

  1. Die “Bedarfsgemeinschaft” ist ein zynischer Begriff, von dessen sozialer Basis nichts erkennbar ist. Der “Bedarf” ist das, was vom (hartzschen) Tisch runterfällt, mehr eben nicht. Wann kommt eine soziale Menschlichkeit, die wir uns in diesem reichen Land leisten könnten.

    Können wir endlich damit anfangen?

    Eine Bewertung des Urteils von Christoph Butterwegge:

    http://www.nachdenkseiten.de/?p=4518

  2. […] Nochmals zum Hartz-IV-Urteil des BVerfG – Greifswald wird Grün […]

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.