Was ich nicht mehr hören möchte

Zweitverwertung, Teil zwei: Dass wir zu diesen Fragen und der Organisation des Bahnverkehrs allgemein eine ganze Reihe konstruktiver Vorschläge im Programm haben, wird gerne übersehen. Außerdem braucht man nur über den Tellerrand namens Hochrhein blicken.

Der ICE trifft im Berliner Hauptbahnhof neun Minuten verspätet ein. Dabei sah es bis hinter Wustermark noch gut aus, doch bei Staaken geht es für ein paar Minuten nicht weiter. Es gibt einen Stau. Diese Form des Staus ist im deutschen Schienennetz nicht selten, wenn zwei oder mehr Strecken zusammenlaufen. An solchen Punkten existieren unzählige bekannte Nadelöhre, und leider sind viele dieser Engpässe erst in jüngerer Vergangenheit geschaffen worden. Wenn alles, aber auch wirklich alles, gut geht, fällt das nicht auf. Hat aber erstmal ein Zug Verspätung, es kann auch ein Regionalzug sein, dann müssen sich alle hinten anstellen und haben auch noch etwas von der Verspätung. Neugebaute Strecken und Bahnhöfe ohne Kapazitätsreserven sind also letztlich nichts anderes als Verspätungsursachen. In den Zügen hören wir dann aber immer die Zauberformel „Verzögerungen im Betriebsablauf“. Und das möchte ich nicht mehr hören. Jede dieser Pannen hat eine vorgelagerte Ursache, die sich ohne große Mühe präzise beschreiben lässt, wenn man das nur will. „Verzögerungen im Betriebsablauf“ ist hingegen reiner Wortmüll und verschleiert nur die freie Sicht des Bahnreisenden auf die Fehler im System.
Das fällt natürlich umso mehr auf, wenn man noch den Kontrast vor Augen hat, den Vergleich mit einem weniger zögerlichen Betriebsablauf gewissermaßen.
Die Schweiz macht da vieles richtig und setzt im Ganzen wie in den Details die Prioritäten an den richtigen Stellen:
Zuerst wird das Gerüst eines Integralen Taktfahrplans entworfen, dann wird geschaut, an welchen Stellen dazu Beschleunigungen oder andere Baumaßnahmen erforderlich sind. Dann wird an den richtigen Stellen gebaut.
Baumaßnahmen dienen nicht dem Prestige, sondern Verbesserungen im Betrieb.
Ein besonderes Augenmerk liegt in der vorausschauenden Vermeidung von Engpässen. Wichtige Einmündungen an verkehrsreichen Strecken werden stets niveaufrei ausgeführt.
An Knotenbahnhöfen sind die Gleisanlagen so konzipiert, dass Übergangszeiten von zwei Minuten kein Problem darstellen.
Alle Regionen werden bei Modernisierungen der Infrastruktur gleichmäßig berücksichtigt, die Peripherie gegebenenfalls sogar bevorzugt.
Der Fernstraßenbau genießt keine Priorität.
Der Fahrplan steht im Zentrum des Personenverkehrs. Taktabweichungen, die die Betriebssicherheit gefährden, werden nur in ganz wenigen Ausnahmen geduldet.
In topographisch anspruchsvollen Regionen gibt es ein umfangreiches Schmalspurnetz. (Okay, nicht alles lässt sich auf Mecklenburg-Vorpommern übertragen.)
Für alle Zuggattungen gilt ein einheitlicher Tarif.
Auf albernen Schnickschnack wird verzichtet.
Und: Es fahren Züge. Viele Züge. Oft. Fast überall.

Ein Kommentar bei „Was ich nicht mehr hören möchte“

  1. […] sich an dem, was in der Schweiz schon seit geraumer Zeit praktiziert wird und lässt sich grob so (und ausführlicher so) beschreiben: Zuerst wird das Gerüst eines Integralen Taktfahrplans entworfen, dann wird geschaut, […]

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