Mehr Bahn für Greifswald – wie kann das gehen? *update*

Die geplante Reduzierung der IC-Verbindungen auf der Strecke Stralsund – Greifswald – Berlin will hier niemand einfach so hinnehmen. Während zwischzeitlich manche lokale Politgröße noch Schwierigkeiten offenbarte, den Unterschied zwischen „Takt“ und „Zugpaar“ zu erfassen, sind andere schon weiter.
Von der gestrigen Diskussionsveranstaltung der grünen Bundestagsfraktion mit Ingulf Leuschel (DB), Anton Hofreiter (grünes MdB), Hauke Juranek (Pro Bahn) und Prof. Helmut Klüter (Geographisches Institut) in guter Gesprächsatmosphäre können immerhin einige Lösungsansätze festgehalten werden.
Toni Hofreiter, für die bundespolitische Perspektive zuständig, erläuterte die grundlegenden Ansätze grüner Bahnpolitik. So solle durch Änderung des Bahngesetzes für den Fernverkehr eine Situation geschaffen werden, die der heutigen Konstruktion im Regionalverkehr vergleichbar ist. Der Bund solle zunächst den Fahrplan festlegen und auf dieser Grundlage den Fernverkehr ausschreiben. Durch entsprechende Gestaltung der Lose könne auch „Rosinenpickerei“ verhindert werden. Eine Ausrichtung der Investitionen an den Erfordernissen des Fahrplans ginge mit dieser Lösung einher.
Dieser Ansatz stieß zwar nicht auf Widerspruch, bietet aber kurzfristig noch keine Perspektive. Helmut Klüter sah das Problem auch in der Lücke zwischen Schnellverkehr und Regionalverkehr, die früher durch den InterRegio gefüllt war. Land und Bund müssten für Strecken wie Berlin – Greifswald – Stralsund gemeinsam ein entsprechendes Angebot schaffen, schließlich entspreche die formelle Trennung zwischen Fernverkehr und Regionalverkehr gerade in diesem Segment nicht der Realität.
Hauke Juranek meinte wiederum, kurzfristig müsse darauf gedrängt werden, dass das Land zwischen Stralsund und Angermünde grundsätzlich einen Stundentakt bestelle, wobei man den Anbietern in der Ausschreibung die Möglichkeit einräumen sollte, die Züge südlich von Angemünde als IC weiterlaufen zu lassen.
Mit letzterer Variante könnte auch das eklatante Komfortproblem in den Zügen der RE3 behoben werden. Hier waren sich wirklich alle einig, dass die alten Doppelstockwagen für eine Fernstrecke ungeeignet und unattraktiv sind.
Nicht so ganz einig wurde man sich hingegen in der Bewertung von Herrn Leuschels Feststellung, die A20 hätte durch den Vergleich der Fahrzeiten der Bahn Kunden gekostet. Weil es so deutlich nicht zu hören war, stelle ich doch mal fest, dass also aus Sicht von BahnfreundInnen diese Autobahn also nie gebaut hätte werden dürfen. Manch ein Grüner hatte das schon vor 15 oder 20 Jahren gewusst, es wollte nur niemand hören.
Umgekehrt stellte Prof. Männchen, die für den Seniorenbeirat sprach, aber das Fahrzeitenargument in Frage und meinte, es sei nicht entscheidend, ob ein Zug 15 Minuten schneller oder langsamer sei. Über dieses Plädoyer zur Entschleunigung, das mir nicht unsympathisch ist, lohnt es sich, einmal intensiver nachzudenken.

Update

Der Nordkurier berichtet über den Sachverhalt und die Diskussion, die OZ über die Veranstaltung wie auch der webmoritz, der einen Artikel von Daburna wiedergibt (mit dessen Erlaubnis). Bewegte Bilder gibt es im Greifswald-TV – für Freitag sind noch mehr versprochen.

5 Kommentare bei „Mehr Bahn für Greifswald – wie kann das gehen? *update*“

  1. Was die Geschwindigkeit angeht: Die Systemgeschwindigkeit ist entscheidend, nicht die Höchstgeschwindigkeit des Zuges! Auch das kam gestern als Argument: Was nutzt mir ein schneller Zug, wenn ich dann fahrplanmäßig eine dreiviertel Stunde auf dem Umsteigebahnhof herumstehe?

  2. Drei wichtige Ergänzungen:
    1. Als äußerst problematisch müssen die Entscheidungsgrundlagen angesehen werden, nach denen die Bahn Züge streicht. Das Pauschalargument lautet: Es fahren zu wenig Leute mit dem betroffenen Zug. Fahrgastbefragungen liefern dann den „Rest“ an „Empirie“. Viel wichtiger wäre es, die Frage zu beantworten, warum bestimmte Leute derzeit nicht mit diesem Zug fahren. Zu diesem Zweck müsste man auch diejenigen befragen, die sich außerhalb des Zuges befinden. Das bedeutet: Man müsste Zielgruppenbefragungen bei solchen Gruppen durchführen, von denen eine große Reisenachfrage ausgeht: Fernpendler, Studierende, Touristen, Zweitwohnsitznehmer.
    2. Gerade für unsere Region stößt aufgrund der starken touristischen Entwicklung der motorisierte Individualverkehr an seine Grenzen: Die Staus vor Rügen und Usedom kann man nur verringern, wenn die Bahn attraktive Fernverkehrsangebote macht. Das geht aber nicht wenn man die wenigen noch verbliebenen Fernzüge streicht. Die bisherigen IC-Züge von und nach Greifswald sind nur bedingt attraktiv. Einige haben kürzere Laufwege als der billigere Regionalexpress. Wichtige touristische Herkunftsregionen wie Sachsen und Nordrhein-Westfalen sind kaum mit Direktverbindungen erschlossen. Auf einigen Strecken sind die veralteten schweren IC-Zuggarnituren kaum schneller als die teilweise hochmodernen Regionalexpresszüge (z. B. Hanse-Express zischen Stralsund und Rostock).
    3. Die empirischen (Punkt 1) und strategischen (Punkt 2) Defizite müssen so schnell wie möglich behoben werden. Auf einer solchen Grundlage sollten dann die Interessenträger in der Region auf die Fahrplanerstellung 2012 bei der Bahn Einfluss nehmen. Das sollte bereits ziemlich zeitnah geschehen, denn sonst müsste man damit leben, dass auch 2012 zu wenig Fernzüge fahren.

  3. Jörg Moritz-Reinbach sagt: Antworten

    Lieber Kay, liebe Bahnfreaks,

    in der Tat, der Unterschied zwischen Zugpaar und Takt ist nicht allen PolitikerInnen bekannt. Was ist aber mit den Bahninteressierten unter den NichtpolitikerInnen? Wer ist so freundlich und stellt mal ein kleines Glossar der Bahnpolitischen Kampfbegriffe zusammen. Bitte nehmt darin neben dem „integrierten Taktfahrplan“ auch den geheimnisvollen „Nullerknoten“ auf.
    Vielen Herzlichen Dank!
    auf Aufklärung dringend angewiesen:
    Jörg Moritz-Reinbach

  4. Der Nullerknoten ist im Integrierten Taktfahrplan einer der beiden Unterfälle des Vollknotens. Der andere Unterfall ist der Dreißigerknoten. Vollknoten zeichnen sich im Musterfall dadurch aus, dass die Züge aus allen Richtungen kurz vor der Symmetrieminute eintreffen und kurz nach der Symmetrieminute ausfahren, so dass alle erdenklichen Anschlüsse mit kurzen Übergangszeiten realisiert werden können. Die Symmetrieminute kann im deutschen Bahnverkehr beim Stundentakt entweder die Minute 28 1/2 oder die Minute 58 1/2 sein, man rundet das dann der Anschaulichkeit zuliebe auf 30 und 00 und erhält die entsprechenden Knoten.
    In der Praxis ist das Konzept ohne Abweichungen vom Idealfall auch dann nur schwer zu realisieren, wenn die Infrastruktur an den gewünschten Fahrplan angepasst wurde. Weitere Kompromisse enstehen durch den Übergang vom Stundentakt in den Halbstundentakt oder Zweistundentakt.
    Derzeit sind in in MV zum Beispiel:
    Vollknoten auf Null: Stralsund (ausgenommen IC), Rostock (ausgenommen RE nach Berlin), Züssow (mit der Schwierigkeit, drei Züge auf zwei Gleisen abwickeln zu müssen), Bad Kleinen, Güstrow, Neustrelitz.
    Vollknoten auf 30: Neubrandenburg, Waren, Bützow, Bad Doberan, Bergen (Rügen).
    Pasewalk ist gar kein funktionierender Knoten, darüberhinaus gibt es zahlreiche Beispiele von verschenkter Fahrzeit und ungünstigen Lösungen.
    Alles in allem ist der ITF die Königsdisziplin der ansonsten leider allzu vernachlässigten diskreten Mathematik.

  5. Eine schöne Veranstaltung, zumindest hat man als Bahnkunde einiges an Hintergrundinformationen erhalten. Die Forderung nach einem Stundentakt für die Strecke Stralsund Pasewalk würde ich auch jederzeit unterschreiben. Allein durch die Neugestaltung der Landkreise, falls diese dann so kommen sollte, erfordert eine bessere Anbindung der südlich gelegenen Orte an die zukünftige Kreisstadt. Der Zweistundentakt ist derzeitig eine Zumutung. Wenn man beispielsweise aus Ückermünde kommend in Richtung Greifswald möchte, dann schafft man den Anschluss meistens nur, wenn der Zug Verspätung hat. Über andere Querverbindungen will ich gar nicht erst sprechen, die Fahrzeiten sind aufgrund der längeren Wege schon deutlich länger, und wenn man dann ewig auf den Anschluss warten muss, dann wird man es sich überlegen die Bahn zu nehmen.

    Aufgrund eigener Erfahrungen durch recht viele Bahnfahrten in der letzten Zeit kann ich das überschwengliche Lob der Züge zwischen Rostock und Sassnitz nicht verstehen. Sie sind zwar bequemer, das kann man nicht abstreiten, während der Saison ist die Kapazität der Wagen deutlich zu gering. Wenn man Leute sieht, wie sie sich quälen in den überfüllten Zügen, einen Platz für ihre Räder zu bekommen, dann weiß man warum man das nicht machen sollte. Entspannte Bahnfahrten sind nämlich etwas anderes. Zudem ist eine Örtlichkeit für den gesamten Zug auch nicht gerade was man Service am Fahrgast nennt.

    Schade dass bei der Diskussion nicht alle Plätze besetzt waren …

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