Wie schon angedroht, möchte ich hier noch einiges zum Thema „Beitragsbemessungsgrenze“ in der Krankenversicherung schreiben, was als einer der wenigen Punkte auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Freiburg kontrovers abgestimmt wurde. Eine Diskussion mit Harald Terpe dazu am Sonntagmorgen hat mich dazu ermuntert. Wohl wurde in Freiburg richtigerweise angemerkt, dass Gesundheit für uns nicht dasselbe wie Mathematik sein darf. Geht es aber um Beitragsrechnungen sowie um Abgaben überhaupt, kommen wir ums Rechnen nicht herum.
Es geht um zwei Dinge. Die erste Frage war, welche Höhe der Beitragsbemessungsgrenze zu bevorzugen sei, solange man die grundsätzliche Anlage der Beitragsstruktur mit eben einer solchen Obergrenze beibehält. Hier wurde von den BefürworterInnen einer kleinen Anhebung auf 4160 Euro ausgeführt, dass man mittlere Einkommen nicht zu starken Mehrbelastungen aussetzen dürfe, wolle man die generelle Mehrheitsfähigkeit des Projektes nicht gefährden.
Dem kann das eine oder andere entgegengehalten werden: Zunächst wurde, zum Beispiel von Peter, die Frage aufgeworfen, ob denn ein Grundsatzbeschluss überhaupt die Aufgabe habe, einen denkbaren politischen Kompromiss schon vorwegzunehmen. Der zweite Einwand ist der soziologische, nämlich, dass die Mehrbelastungen weniger mittlere Einkommen beträfen, sondern eher welche, die schon im höheren Bereich liegen. Drittens – und für mich entscheidend – ist die Tatsache, das eine höhere Bemessungsgrenze einen insgesamt niedrigeren Beitrag ermöglicht, wodurch dann sämtliche Einkommen unterhalb 4160 Euro linear entlastet würden, was nicht zuletzt denjenigen mit mäßigem Einkommen zugute käme, welche eben durch die derzeitige Struktur von Steuern und Abgaben die sind, die am stärksten belastet werden. Wenn dann wiederum das vermeintliche Hilfsargument fällt, es handele sich doch dabei um eher geringe Beträge, außerdem seien mathematische Zusammenhänge schwer vermittelbar, so weise ich darauf hin, dass die Summe von Kleinigkeiten durchaus beträchtlich sein kann. Den Hinweis auf die angebliche mathematische Beschränktheit vieler akzeptiere ich nicht. Es ist Aufgabe von AkteurInnen des politischen Raumes, den Zusammenhang so darzulegen, dass er verstanden wird. Jürgen Trittin macht im taz-Interview den Anfang.
Umso bedauerlicher ist daher, dass ein Antrag von Max Löffler, die Beitragsbemessungsgrenze in ihrer gegenwärtigen Form generell zu hinterfragen, abgelehnt wurde. Ich meine, das Ansinnen wurde nicht richtig verstanden. Es ging – anders als behauptet – nicht darum, ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem einzuführen. Der Wunsch von Max und anderen war zunächst, die Wirkungen einer starren Bemessungsgrenze in Zusammenhang mit der gesamten Belastung aus Steuern und Abgaben zu berücksichtigen und das System gegebenenfalls zu überarbeiten. Schließlich, so wurde richtigerweise argumentiert, kann eine solche Kappungsgrenze zu unerwünschten Effekten führen. Die relative Belastung der oder des Einzelnen sinkt nämlich oberhalb dieser Grenze. Bedenklich ist dabei aus meiner Sicht vor allem, dass der Punkt, an dem sich diese Grenze befindet, willkürlich gewählt ist und der Effekt abrupt einsetzt. Eine Funktion der relativen Belastung durch die Krankenversicherungsbeiträge in Abhängigkeit vom Einkommen verläuft so zunächst als waagrechte Linie, bevor sie nach einem harten Knick nach unten abfällt und sich dann mit abnehmendem Gefälle dem Grenzwert Null annähert. Die erste Ableitung weist folglich eine Definitionslücke auf. In Kombination mit anderen einkommensabhängigen Steuern und Abgaben entsteht kein stetiges Gesamtbild der Belastungen, weil die Ableitungen gleich an mehreren Stellen Definitionslücken aufweisen. Das Resultat ist unübersichtlich und unlogisch. Und genau diese Logikfehler sind eine Quelle mangelnder Akzeptanz des Gesamtsystems, weswegen ich es richtig fand, das zu thematisieren.
Ich hoffe, ein entsprechender Beschluss wird bald in einem allgemeinen Rahmen nachgeholt.
Hallo Kay,
ich finde den Beschluss der BDK, die Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung auf die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung anzuheben, systematisch richtig – und hätte doch dagegen gestimmt. Warum? Zum einen entspricht dieser Beschluss dem typisch grünen Sofortismus, mit dem gleich das Maximum gefordert wird. Ohne Rücksicht darauf, dass man für seine Vorstellungen – und die Einführung einer Bürgerversicherung ist ein erheblicher Einschnit – nicht nur einfach Mehrheiten in der Regierung benötigt sondern gesellschaftliche Akzeptanz Verbündete. Mit einer Beitragsbemessungsgrenze oberhalb von 4.200 Euro dürfte das ingesamt schwieriger werden.
Zum anderen ist der entlastende Effekt einer so starken Anhebung geringer als vermutet (0,5 Beitragspunkte mehr Entlastung gegenüber Anhebung auf Pflichtversicherungsgrenze). Den Haupteffekt (nämlich 1,6 Beitragspunkte) macht die Einbeziehung der bislang privat Versicherten aus.
Der Freiburger Beschluss trifft vor allem die Mittelschicht.
Hallo Jörg,
ich behaupte eben, dass diese 0,5 Prozentpunkte sich sehr wohl bei den Betroffenen bemerkbar machen. Es ist doch so, dass durch die höhere Beitragsbemessungsgrenze deutlich mehr Leute entlastet werden als zusätzlich belastet. Und die zusätzlich Belasteten sind eben nicht die Mittelschicht, sondern liegen da nach Einkommensgruppe schon deutlich drüber. Der Bereich zwischen 4160 und 5500 Euro entspricht etwa dem Segment des 1,5fachen bis doppelten Durchschnittseinkommens. Das sind etwa 8% der Bevölkerung, weitere 5%, die noch mehr verdienen, werden ebenfalls stärker belastet. Die restlichen 87% werden hingegen mehr oder weniger stark entlastet, am meisten davon eben jene, die wenig unterhalb der 4160 Euro verdienen, also genau die Mittelschicht. Es wird Dich nicht überraschen, dass ich an dieser Stelle ergänzend zu Wolfgang Strengmann-Kuhn verlinke, auch um nochmal auf meinen zweiten Punkt zu verweisen, der dort etwas weniger mathematisch und so allgemeinverständlicher ausgeführt wird. Es darf einfach nicht sein, dass wir die Effekte der Bemessungsgrenze an sich einfach ignorieren.
Hallo Kay,
diese 0,5 Beitragspunkte entsprechen bei jemandem, der 2000 Euro brutto hat maximal 10 Euro Beitragssenkung. Soviel dazu, wie sich das bei den Beitragszahlern auswirkt.
Im übrigen enthält die Bürgerversicherung eine Menge Zumutungen gerade auch für unsere Wählerschaft. Ich weiß nicht, ob wir gut beraten sind, da noch weitere hinzuzufügen. Zumal wir jede Menge Verbündete dafür brauchen. Nicht alles, was mathematisch oder systematisch richtig ist, ist es auch politisch.
Gruß Jörg
Was Max, Wolfgang und andere gefordert haben, ist ja gerade, dass man den Saldo aus Zumutungen und Entlastungen in Relation zum Einkommen mal in einer Gesamtschau (alle Steuern und Abgaben) berechnet und abbildet. Und wenn da, was abzusehen ist, Logikfehler auffallen, so müssen diese beseitigt werden, um die Akzeptanz des Systems zu erhöhen. Dass wir auch unserer eigenen WählerInnenschaft etwas zumuten wollen, zeigt nur, dass wir das Gegenteil von Klientelpolitik betreiben. Dazu sind es nicht nur die reduzierten Beiträge, die auf der Entlastungsseite stehen, sondern zum Beispiel auch die wegfallende Praxisgebühr. Und weiterhin finde ich es vertretbar und vermittelbar, wenn die oberen 13% Einkommen stärker belastet werden.