Über das Verhältnis von Sprache und Inhalt

Am Sonntag werden Bündnis 90/Die Grünen in Mecklenburg-Vorpommern möglicherweise ein Programm zur Landtagswahl 2011 beschließen. Es liegt ein Entwurf des Landesvorstandes vor, den Link dazu gibt es in dieser Zusammenstellung, ebenso wie die über 200 Änderungsanträge. Diese sind leider nur chronologisch in der Reihenfolge ihres Eingangs (beziehungsweise der Bearbeitung durch die Landesgeschäftsstelle) verfügbar. Eine bessere Strukturierung selbst zu erstellen war mir wiederum zu aufwendig, da auch wir Delegierte alles nur als PDF erhalten.
Derlei organisatorische Handicaps sind vor allem dazu geeignet, zur Unübersichtlichkeit beizutragen. Abgesehen davon überrascht der Landesvorstand mit der Absicht, im Vorfeld der beschlussfassenden Landesdelegiertenkonferenz (LDK) kein Antragsteller_innen_treffen durchzuführen. Das ist umso verwunderlicher, da der Gesprächsbedarf offenkundig groß ist.
So erklärt sich die Vielzahl der Änderungsanträge von verschiedenster Seite nicht zuletzt aus der Qualität der Vorlage. Diese weist in Struktur, Sprache und Inhalt deutliche Mängel auf.
Wer einen längeren Sachtext entwirft, sollte sich relativ frühzeitig Gedanken über eine geeignete Gliederung machen. Doch sowohl im Großen wie im Kleinen ist die vorgeschlagene Anordnung oftmals ungünstig, da sie viele Zusammenhänge nicht deutlich genug erkennen lässt. Resultat sind zahlreiche Wiederholungen und zum Teil auch Widersprüche, die Ausgangspunkte eines nicht unbeträchtlichen Teils der Änderungsanträge sind. So steht zum Beispiel das Kapitel zur Verkehrspolitik weit entfernt von Umwelt, Klimaschutz, Tourismus und Wirtschaft, als wäre es manchen Grünen peinlich, daran zu erinnern, dass auch der Verkehr seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten muss. Viele Einzelfragen, die ganz klar Inhalt der Verkehrspolitik sind, tauchen dann plötzlich in anderen Abschnitten auf, weil niemand die Zeit (oder keine Lust mehr?) hatte, sich bis Zeile 3417 durchzukämpfen. In anderen Fragen sieht es nicht viel besser aus. Und leider haben einige Änderungsanträge hier offenbar das Ziel, die Verwirrung noch zu steigern.
Einigen Kapiteln des Entwurfstexts ist die Kürze der Zeit anzumerken, in der sie erstellt wurden. Andere Abschnitte offenbaren ein unterentwickeltes Sprachverständnis ihrer Verfasser_innen. Ein großer Teil der Änderungsanträge nicht zuletzt von mir selbst ist Ausdruck des verzweifelten Versuches, hier noch zu retten, was irgendwie zu retten ist. Besonders betroffen sind die Bereiche Wirtschaft, Arbeitsmarkt, berufliche Bildung, Gleichstellung, Finanzen, Kommunales, Wald sowie das mit besonders heißer Nadel gestrickte Kapitel „Planen und Bauen“. Einige andere Kapitel lasen sich weitaus erträglicher, insbesondere dort, wo funktionierende Landesarbeitsgemeinschaften nicht nur gut vorgearbeitet haben, sondern auch hinreichend mit allen interessierten Mitgliedern kommuniziert haben.
Sprache ist nicht die Nebensache, für die viele Grüne in Mecklenburg-Vorpommern sie leider zu halten scheinen. Ein Programm ist eine Form der Kommunikation mit Leuten, von denen wir gewählt werden wollen. Das erfordert eine Sprache, die klar und verständlich ist, mit einem Satzbau, der nicht stört und in dem die Leser_in nicht stecken bleibt. Vor allem aber drückt die inflationäre Verwendung wohlklingender Modewörter keinen „akademischen“ Geist aus, sondern ist im Gegenteil höchst unwissenschaftlich. Wer ständig vorgibt, mit kreativen und innovativen Ideen, die zukunftsweisende Technologien beinhalten, Konzepte für gute Arbeit und gute Bildung entwickeln zu wollen, hat mit diesen Worten noch nichts gesagt. Und wenn wir Bündnisgrünen mehrfach betonen, für eine Politik zu stehen, die sich endlich ändern muss, damit das Land sowohl auf eigene Beine gestellt wird als auch gut aufgestellt ist, heißt das gar nichts. Texte zu formulieren ist nicht so einfach, wie mensch manchmal denkt, und bei einigen Grünen im Land steht jetzt hoffentlich die Einsicht an, dass das Formulieren von Texten nicht zu den eigenen Stärken zählt.
Die Aussage, sprachliche Mängel würden ja noch „redaktionell“ behoben, ist wiederum ein Witz. So bestehen offenkundig ganz unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Änderungen „redaktionell“ sind und welche inhaltlicher Natur. Die Verschiebung zweier Sätze in einen anderen Abschnitt als „redaktionell“ abzutun ist zum Beispiel für mich nicht akzeptabel, auch nicht, die Vokabel „initiieren“ durch „gründen“ zu ersetzen. Gegen die Übernahme solcher Änderungsanträge habe ich nichts, aber rein „redaktionell“ sind sie nicht. Und eine Bearbeitung nach dem für Sonntag vorgesehenen Beschluss ist völlig abwegig, denn so würde die LDK als zuständiges Beschlussgremium missachtet. Wir beschließen nicht irgendwelche Texte, sondern bestimmte. Die sprachliche Gestaltung ist Bestandteil des Beschlusses.
Der Programmentwurf ist ein Antrag des Landesvorstandes, weswegen diese Kritik sich nicht gegen all diejenigen richtet, die mit ihren Zuarbeiten zum Entwurf beigesteuert haben. Für einen Entwurf des Vorstandes ist letztlich nur dieser selbst verantwortlich. Viele Anträge und Irritationen hätten dabei durch eine bessere Kommunikation vermieden werden können.
Sprache vom Inhalt zu trennen ist wiederum allein deswegen unmöglich, da sprachliche Details großen Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung haben können. Auch das zeigen einige Änderungsanträge. Unpräzise und wolkige Formulierungen im Ausgangstext zogen an verschiedenen Stellen mehrere Änderungsanträge gegenläufiger Zielrichtung nach sich. Das zeigt, dass wir uns in diesen Fragen erst einmal klar werden müssen, was wir eigentlich wollen. Ein Prozess der Programmerarbeitung dient immer auch der Kommunikation nach innen. Viele inhaltliche Differenzen sind erst nach Durchsicht aller Anträge erkennbar.
Die dafür erforderlichen Diskussionen hätten eine rechtzeitige und transparente Vorstrukturierung erfordert.

2 Kommentare bei „Über das Verhältnis von Sprache und Inhalt“

  1. Hallo Kay, du sprichst mir aus der Seele… Der Wust an Informationen überfordert mich auch. Und wie wichtig und richtig ist dein Plädoyer für die Vereinfachung der Sprache (in unserem Programm)!!! Und die Inhaltlichen Widersprüche, die bleiben wohl bestehen, da müssen wir wohl drüber abstimmen. Anders geht es nicht. Danke für deine wohltuenden Ausführungen.

  2. […] in diesem Artikel geäußerte Kritik möchte ich durch einige Beispiele anschaulicher machen. So lesen wir im Entwurf […]

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