Realexistierende Demokratieunfähigkeit

Wie Akteure im politischen Raum handeln müssen, um Leuten, die Lust auf Mitmachen haben, dieselbe möglichst effektiv zu nehmen, wurde gestern im Kreistag Vorpommern-Greifswald eindrucksvoll demonstriert.
Möglicherweise liegt einfach ein böser Fluch auf der Metropole Pasewalk, vielleicht passt es einigen vielen einfach nicht, dass in der Demokratie Leute zugucken können und möchten. Der Grund liegt auf der Hand: Eine interessierte Öffentlichkeit könnte ja sehen, wie manche der genannten Akteure wahlweise zu dumm oder zu faul sind, diesen Landkreis und die Region weiterzuentwickeln.
Statt dessen gestern nachmittag um halb fünf: Eine Stunde Stillstand. Verspätungen, bei denen die Bahn Entschädigungen zahlt, erreicht der Kreistag und sein Präsidium durch schlechte Vorbereitung und überflüssige Geschäftsordnungsanträge.
Ausgangspunkt war ein GO-Beitrag von Karl-Heinz Schröder (CDU), den eine Kamera störte, die den Kreistag filmte und so die Sitzung auch jenen zugänglich machen wollte, die etwas weiter entfernt von Pasewalk wohnen, also der Mehrheit der Kreisbevölkerung. Wer Schröder mal erlebt hat, versteht irgendwie, dass er nicht gefilmt werden möchte, schließlich könnte es ja peinlich werden für den Bürgermeister aus dem Usedomer Hinterland. Das sollen nicht alle sehen dürfen, denkt er. Hmja, das wäre wohl ein Grund, auf eine Kandidatur für ein öffentlich tagendes Gremium gleich mal ganz zu verzichten, kaum aber taugt es als Rechtfertigung für ein Verbot von Filmaufnahmen. Meiner Meinung nach hat alle Öffentlichkeit der Welt das Recht zu sehen, wie die Gestalten in diesem Kreistag so drauf sind.
Wesentlich kritischer als die Befindlichkeit von Herrn Schröder ist jedoch die Reaktion des Kreistagspräsidenten darauf. Michael Sack forderte den Kameramann auf, das Filmen zu unterlassen. Diese Aufforderung war offensichtlich rechtlich unzulässig, wie ein Blick in die Kommunalverfassung zeigt. Denn diese sieht vor, dass das Filmen grundsätzlich zulässig ist, es sei denn, ein Viertel aller Mitglieder des Gremiums stimmt in geheimer Abstimmung dagegen.
Ein Kreistagspräsident, der sich über wesentliche gesetzliche Bestimmungen in dieser Weise hinwegsetzt, ist wahlweise entweder unfähig oder untragbar.
Einwände seitens einiger Kreistagsmitglieder führten dann aber auch zu einer Unterbrechung, die benötigt wurde, um erstmal die Kommunalverfassung zu lesen. Das hätte sehr schnell gehen können, wäre die Recherche nicht offline erfolgt.
Schröder stellte dann tatsächlich seinen Antrag – und über den musste jetzt natürlich geheim abgestimmt werden. Und darauf war niemand vorbereitet. Alles in allem zog sich die Prozedur dann etwa über eine Stunde, bis feststand: Mehr als ein Viertel die Kreistagsmitglieder möchten bei ihrer wertvollen Gremienarbeit von möglichst wenigen Leuten beobachtet werden. Das Quorum wurde dabei erreicht, nicht aber eine Mehrheit. Ausgenutzt haben das mutmaßlich dieselben Leute, die sonst die ersten sind, wenn es darum geht, Minderheitenrechte mit Füßen zu treten und die Demokratie generell als lästig zu empfinden. Diese Leute sitzen dabei nicht nur in der einen Fraktion, von der das sowieso alle wissen.
Ab 17:30 durfte also nicht mehr gefilmt werden. Für die Vernichtung einer Stunde Lebenszeit bedanken wir uns bei dem Kreistagspräsidium, der Kreisverwaltung und natürlich dem Antragsteller. Außerdem bei all den Leuten, die Menschen in diesen Kreistag gewählt haben, die durch ihr Verhalten zur Aushöhlung der Demokratie beitragen. Vielleicht hat Vorpommern-Greifswald ja nichts besseres verdient.

Ein Kommentar bei „Realexistierende Demokratieunfähigkeit“

  1. Die Piraten berichten von der gestrigen Sitzung des Kreistages Vorpommern Greifswald u. a.:

    Es war allerdings auch die erste Kreistagssitzung, auf der die Dokumentation mittels Filmaufnahmen untersagt wurde. Auf Initiative von Karl-Heinz Schröder (CDU) aus Benz ordnete der Kreistagspräsident zunächst rechtswidrig die sofortige Abschaltung unserer Kamera an. Wir freuen uns, dass diese Entscheidung Protest bei etlichen anderen Kreistagsvertretern auslöste. So konnte auch der Kreistagspräsidenten in einer Sitzungsunterbrechgung wieder auf den Rechtsweg geführt werden.
    Letztlich votierten jedoch 23 Kreistagsteilnehmer in geheimer Abstimmung für ein Verbot der Aufzeichnung. Immerhin: 42 Kreistagsmitglieder scheinen demnach keine Angst vor Bürgeröffentlichkeit zu haben.
    Formal ist dieses Vorgehen nach der Kommunalverfassung zulässig, da nur 25 Prozent der anwesenden Kreistagsmitglieder notwendig sind, um Aufzeichnungen zu verhindern. Diese senden damit jedoch ein politisches Signal aus, das wir nur als beschämend empfinden können: Es ist nur soviel Öffentlichkeit zugelassen wie unbedingt nötig.

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