BDK Hannover: Grüne Sozialpolitik

Nach meinen Kommentaren zum grünen Spitzenpersonal möchte ich die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, auch zu den inhaltlichen Beschlüssen der Bundesdelegiertenkonferenz in Hannover noch ein paar Anmerkungen zu machen.
Der sozialpolitische Schwerpunkt am Samstagvormittag fand dabei am meisten Beachtung. Dabei ist interessant, wie unterschiedlich die Beschlüsse wahrgenommen werden. Grundsätzlich behaupte ich mal: Wo das Gemecker von beiden Seiten des politischen und medialen Spektrums hallt, ist eine Richtungsänderung an sich eher moderat.
Zufrieden bin ich mit der in Hannover beschlossenen Programmatik, um wieder eine gerechtere Verteilung in Deutschland herbeizuführen. Entscheidend sind dabei zunächst die Einführung einer Vermögensabgabe sowie eine Erbschaftssteuerreform mit dem Ziel, das Aufkommen aus dieser Steuer zu verdoppeln. Diese Vorhaben zur Hauptsache zu erklären, ist aus zwei Gründen richtig: Zum einen sind Vermögen nun einmal das Gegenstück zu Schulden und wer Schulden abbauen möchte, muss dafür Vermögen abbauen. Zweitens ist es richtig, bei Erbschaften stärker die Gemeinwohlorientierung einzufordern. Ein Erbe ist ein Einkommen, das offensichtlich nichts mit Leistung zu tun hat. Bei der Einkommenssteuer wollen wir die Absenkung des Grenzsteuersatzes korrigieren und ihn wieder auf 49% festlegen. Hier ist der einleuchtende Grund, dass der niedrigere Satz nicht das gebracht hat, was man sich vor ein paar Jahren davon versprochen hat. Eine weitere Anhebung haben wir mit recht deutlicher Mehrheit nicht in den Beschluss aufgenommen. Wichtiger ist hier die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Der grüne Schwerpunkt liegt damit klar auf einer wirksamen Umverteilung von Vermögen. Das ist auch gut so.
Kniffliger war da schon das Thema Rente. Dazu möchte ich betonen, dass die BDK keinesfalls beschlossen hat, die Erhöhung des Rentenineintrittsalters in ihrer derzeit gültigen Form unverändert weiterzubetreiben. Die differenzierten und detaillierten Ergänzungen von Wolfgang Strengmann-Kuhn und anderen formulieren klare Bedingungen, unter denen Grüne eine Rente mit 67 für vertretbar halten und beschreibt auch die Fälle, wo eine solche Erhöhung nicht sein darf. Eine generelle und kategorische Ablehnung jeder Erhöhung des Renteneintrittsalters fand ich auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit problematisch. In der Frage der „Garantierente“ zeichnen wir ein realistischeres Bild heutiger Erwerbsbiographien als SPD oder CDU. Der Vorschlag der Grünen Jugend, die Garantierente ganz ohne Bedingungen auszuzahlen, fand zu meinem Bedauern aber noch keine Mehrheit.
Ohne kontroverse Abstimmung einigen konnten wir uns bei der Höhe des Regelsatzes für die Grundsicherung nach SGB II. Hier half vor allem der Ansatz von Markus Kurth, der schlüssig darlegte, dass die Einführung eines Mindestlohns die Ausgaben für Aufstocker_innen so reduzieren würde, dass die Anhebung des Regelsatzes auf 420 Euro auch seriös gegenfinanziert ist. Selbstverständlich müssen wir in der Folge nachrechnen, ob dieser Betrag ausreicht. Es bestehen in dieser Frage berechtigte Zweifel, die wir nicht abwehren dürfen. Nicht nur der KV Friedrichshain-Kreuzberg wird hier einen genauen Blick drauf werfen.
Als einziges echtes und bedeutendes Ärgernis im Beschluss bleibt die Position zu den Sanktionen des SGB II. Hier standen die Modelle „Moratorium und Überarbeitung“ sowie „Abschaffung“ gegenüber. Leider wollte sich für die Abschaffung der Sanktionen keine Mehrheit finden. Dabei ist die beschlossene Position nicht einmal das größte Problem. Letztlich ist eine Aussetzung der Sanktionen zweifelsohne ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn wir unsre bildungspolitischen Grundsätze ernst nehmen, werden wir im zweiten Schritt auch erkennen müssen, dass die Sanktionen nichts anderes als ein Fall „schwarzer Pädagogik“ (Anja Schillhaneck via Twitter) sind und daher am Ende auch eine Abschaffung stehen wird.
Problematischer als der Beschlusstext ist das in einigen Beiträgen zum Ausdruck kommende Menschenbild. Wenn Dieter Janecek auf Twitter von „Freibier für alle“ schreibt und Tarek Al-Wazir in seinem Redebeitrag neben einiger Polemik das Oxymoron der „ermutigenden“ Sanktionen aufbaut, wird klar, dass wir noch einiges vor uns haben. Die Bitte von Jörg Rupp an Dieter, er möge sich doch mit der Realität in den Jobcentern mal selbst vertraut machen, kann ich nur unterschreiben. Es wäre gut, wenn meine Partei in diesem Punkt mehr auf Leute wie Jörg oder Gregor Kochhan hören würde, die aus ihrer beruflichen Erfahrung wissen, was die Sanktionen des SGB II aus Menschen machen. Ich habe in einem Redebeitrag auf der BDK – leider vergeblich – darauf hingewiesen.
Insgesamt zeigt der Beschluss von Hannover aber zumindest, dass es möglich ist, mehr Verteilungs- und Teilhabegerechtigkeit herzustellen und dabei gleichzeitig belegen zu können, wie das alles finanziert werden kann. An der Sanktionsfreiheit werden wir arbeiten, einen guten Anfang dazu macht heute der Landesvorstand NRW.

8 Kommentare bei „BDK Hannover: Grüne Sozialpolitik“

  1. Grüne, man kann noch viel mehr ökologisches mit armen Menschen machen!!! Hart IV sei Dank!

    Halle. Wie leben ältere Arme, wenn das Sozialsystem kollabiert? Eine mögliche Antwort hat der Industriedesign-Student Philipp Stingl. Er kreierte eine Wohntonne. Die rollende Behausung mit dem Namen „Rumpel“ besteht aus einem gelben Müllcontainer samt Inneneinrichtung.

    Hab wie immer keine Lust, den Inhalt externer Links zu überprüfen, daher gelöscht.

  2. „Die Grünen von heute setzen sich nicht mehr mit den Verursachern der Ausbeutung und der Erniedrigung des Menschen und der Zerstörung der Natur auseinander. Was den Menschen krank macht, ihn demütigt und ihm seine Perspektiven raubt, ist nicht mehr ihr Thema. Neben der Rückführung früheren Protestpotenzials in die herrschenden Verhältnisse ist ihre zweite Funktion die von Innovationstrotteln: dem Kapital bei der Verbesserung seiner Verwertungsbedingungen zu helfen und diesen Absturz als ‚ökologische Modernisierung‘ und ‚Innovationsfähigkeit‘ zu verkaufen.“

    – Jutta Ditfurth, „Das waren die Grünen: Abschied von einer Hoffnung“ –

  3. Unsere Kultur macht es Menschen sehr schwer, ein eigenes freies Selbst zu entwickeln, weil sie das innere Erleben abwertet und Äußerlichkeiten, wie Besitz und Status, zum Maßstab des persönlichen Selbstwerts erhebt. Gleichzeitig sind in dieser Kultur Gewalt, Dominanzstreben und Rivalität als »positive« menschliche Qualitäten verankert. Zugespitzt könnte man sagen: Wer im Konkurrenzkampf um Status und Besitz gewinnt, darf sich als stark und bedeutungsvoll erleben.

    Die »Verlierer« jedoch, die sich – aus welchen Gründen auch immer – keinen Anteil sichern können, werden als unbedeutend und weniger wert angesehen.

    Arno Gruen

    Hab wie immer keine Lust, den Inhalt externer Links zu überprüfen, daher gelöscht.

  4. Claudia Roth = Rot-Grün
    Cem Özdemir = Schwarz-Gelb

    Für jeden ist doch etwas dabei. Nu soll keiner sagen, man hat keine Wahl mehr! Buuunter jeht et nich!

    Hab wie immer keine Lust, den Inhalt externer Links zu überprüfen, daher gelöscht. Alle weiteren Kommentare, die Links enthalten, werde ich komplett und kommentarlos entfernen.

  5. Hab auch in Zukunft keine Lust die „Grünen“ zu wählen und für mich aus der „Parteienlandschaft“ unwiederbringlich gelöscht!

  6. @KK
    ich staune. so eine informative, sachliche Schreibe hätte ich dir gar nicht zugetraut. Respekt.

    Hab wie immer keine Lust, den Inhalt externer Links zu überprüfen, daher gelöscht Wieso das? Gab es Links, die auf strafrechlich relavente Seiten verwiesen?
    Wenn die Maoderation keine Links zulassen will, mach das aber auch vor den Kommentaren kenntlich. Und verändere die Buttons vor dem Kommentarfeld. Ansonsten sehe ich mich bestätigt: Zensur der Minderheit, die ihre Meinung als die einzig richtige versteht. Grüne back to the roots!

  7. […] Wem das zu lang ist, kann bei Kay Karpinsky, dem BDK-Delegierten von Vorpommern-Greifswald eine gute Zusammenfassung der Hauptbeschlüsse finden. /* Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Grün und verschlagwortet mit Bündnis […]

  8. Gute Zusammenfassung, ich verlinke die mal.

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