„Sind unsere Tafeln in Gefahr?“…

…titelte gestern der Nordkurier aus Pasewalk. Zeit, um mal wieder gegen die Unkenntnis anzuschreiben. Allein der Beginn des Artikels (Zitate aus dem Artikel sind kursiv gesetzt) hat es in sich:

Wird es die Tafel oder die Kleiderbörse für sozial Schwache, in denen Ein-Euro-Jobber tätig sind, zukünftig noch geben?, fragt der Autor, anscheinend ohne sich weitere Gedanken über seine Wortwahl zu machen. Warum sind Menschen, die wenig Geld haben, „sozial schwach“? Sie sind mit Sicherheit sozial benachteiligt, arm, in dieser unserer reichen Bundesrepublik abgehängt oder wie auch immer wir das nennen möchten. „Sozial schwach“ sind für mich die Westerwelles, Buschkowskis, Sarrazins u.a. dieses Landes.

Doch es geht weiter. Es wird über den Rückgang der Ein-Euro-Job-Pflichtarbeit berichtet und bedauert, dass viele Angebote nicht mehr aufrecht erhalten werden können.

Ein Träger, der 40 statt 80 Ein-Euro-Jobs betreut, komme so schnell in Schwierigkeiten. Und kann Angebote wie die Kleiderbörse nicht mehr unterbreiten.

Lieber Autor, Ein-Euro-Jobs, die eigentlich gar nicht so heißen sollten, sind nicht dazu da, Tafeln, Kleiderkammern, Grünanlagen oder anderes zu betreiben. Sie sind Maßnahmen der Jobcenter, um Leute an den ersten Arbeitsmarkt heranzuführen. Dass sie das nicht schaffen, steht auf einem anderen Blatt. Sie sollen im öffentlichen Interesse liegen und zusätzlich sein. Ihr Wegfall kann deshalb auch keinen Einfluss auf ein dringend notwendiges Angebot haben, eigentlich. Dass es natürlich längst normal geworden ist, bei Ein-Euro-Jobs an Arbeitsverhältnisse zu denken, liegt auch an der kritiklosen Berichterstattung in unserer Lokalpresse. Beispiele findet der/die Interessierte hier. Und was soll die Überschrift des Artikels, wenn selbst der Jobcenter-Chef so zitiert wird: „Für uns steht nicht die Pflege der Sportanlage im Vordergrund, sondern die Frage: Was lernt der Bewerber?“

Und wieder einmal kommt ein Artikel des NK über Tafeln völlig ohne Kritik am Tafelunwesen aus. Vielleicht findet aber jemand unter der Stichwortsuche beim NK zu Tafel einen kritischen Artikel dazu. Viel Spaß beim Suchen…

 

4 Kommentare bei „„Sind unsere Tafeln in Gefahr?“…“

  1. Unsere Kultur macht es Menschen sehr schwer, ein eigenes freies Selbst zu entwickeln, weil sie das innere Erleben abwertet und Äußerlichkeiten, wie Besitz und Status, zum Maßstab des persönlichen Selbstwerts erhebt. Gleichzeitig sind in dieser Kultur Gewalt, Dominanzstreben und Rivalität als »positive« menschliche Qualitäten verankert.

    Arno Gruen

  2. Während die Lafers, Lichters und Schuhbecks sich durch das Fernsehprogramm brutzeln, erklären wie man Garnelen nicht zu trocken und Wachteln schön knusprig brät, sitzen Menschen vor dem Fernsehapparat, die an Garnelen oder Wachteln gar nicht denken dürfen. Sie sind in einem engen Budget gefangen, in dem Krustentiere aus den Weltmeeren keinen Platz finden, können zwar zusehen, wie sie mit dem Produkt umgingen, hätten sie die finanziellen Mittel dazu, aber in die Wirklichkeit umsetzen werden sie ihr angeglotztes Wissen wohl nie. Landauf landab wird gebacken, gebraten, gerührt – jeder TV-Sender hat mindestens ein Sendeformat mit dem Schwerpunkt „Kochen“. Mal kochen Starköche, mal blutige Amateure, die mit den Produkten despektierlich umgehen, sie vergewaltigen und misshandeln, aber trotz dieses Umstandes dennoch beste Qualität verwursten dürfen – hochwertige Qualität für alle, selbst für die Küchenidioten, nur für solche nicht, die mittellos sind!

    Aber auch denen wird geholfen. Man zeigt ihnen auf, wie sie mit „Tafel“-Produkten und allerlei drittklassiger Ware ihren knapp bemessenen Finanzalltag bändigen können und dennoch nicht hungern müssen. Thilo Sarrazin war da der Vordenker, hat einen Speiseplan entworfen, bei dem es zwar an allerlei mangelte – Getränke berechnete er gar nicht -, der es aber möglichst gut meinte mit den Beziehern von Arbeitslosengeld II. Und die beiden mittellosen Kochgenies, die unlängst bei Jauchs Märchenstunde – Stern TV – auftraten, um ihr neues Hartz IV-Kochbuch anzupreisen, sprangen auf diesen drittklassigen und teilweise menschenverachtenden Zug nur mit auf. All jene erklären, wie man auch mit wenig Geld satt wird – nicht wie man genießt, wie man sich am Essen erfreut, sondern wie man den Bauch füllt, um nicht leiden zu müssen.

    Einige dieser Ratschläge sollen aufgelistet werden: So findet man beispielsweise „Ratschläge, wie mit Ersatzfett, mit Haferflocken und ganz ohne Eier eine vorzügliche, schmack- und nahrhafte Torte“ herstellen könne; oder „statt des Fleisches, das ohnedies sehr ungesund sei“, empfiehlt man den „guten Dörrfisch“. Und „über die Verwendung von schimmliger Marmelade“ heißt es: „Hat sie ein paar kleine Tropfen [nämlich Schimmel], heben wir diese ab und verwenden die Marmelade sofort zu einer Süßspeise oder Marmeladenschnitten.“ Sollte viel Schimmel darauf sein, so hebe man diesen ab und auch „etwas Marmelade darunter“, koche sie erneut ab und verwende sie schnell. „Auch ranzige Butter wird man (…) keinesfalls verkommen lassen: Die kostbare Butter schmeckt ranzig. Wir kneten sie in Salzwasser gut durch, genügt das noch nicht, braten wir sie mit Zwiebeln aus und können sie dann gut für Bratkartoffeln, Fleischbraten oder Gemüse verwenden.“ Sofern Fleischbraten und Gemüse im Haus ist, versteht sich.

    Quelle: adsinistram

  3. Zweierlei dazu:

    1. In den Redaktionen sitzen Leute, die seit mindestens acht Jahren keine erkennbare eigene Wissenserweiterung erlebt haben können, stattdessen als Gegenleistung für das Geld der Leser einen Verblödungsverusch an den nächsten reihen.

    2. Beträfe es nur den Notkurier, würde es mich bildlich nicht jucken. Doch solche Verblödungsversuche (auch mit anderen Themen) finden sich bundesweit und (leider) selbstverständlich auch in einem der Armenhäuser Deutschlands, in M-V, was ich deshalb besonders gruselig finde.

  4. […] und Wohltätigkeit von oben nach Gusto statt nach Gesetz. Vielleicht ist ja auch noch was für Tafeln übrig, die passen gut dazu, dann hätten die ganzen Feuerwehrgebäude auch eine Funktion. Denn […]

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