Selbstkritik zur Agenda 2010: „War das alles?“

Die „Zeit“ veröffentlicht heute einen Gastbeitrag von Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin, der eine durchaus kritische Bewertung der auch unter grüner Billigung beschlossenen Agenda 2010 vornimmt. Deren wesentlicher Fehler wird darin als „Gerechtigkeitsdefizit“ beschrieben, was sich vor allem im Fehlen eines gesetzlichen Mindestlohns, fehlenden Schranken gegen eine Ausweitung der Leiharbeit und nicht zuletzt einer ungleichen Lastenverteilung äußert. Wie wir das korrigieren wollen, beschreiben die sozialpolitischen Beschlüsse vom vergangenen Jahr, die sich im Entwurf des Bundestagswahlprogramms für 2013 auch entsprechend wiederfinden.

Den Beitrag möchte allerdings nicht frei von Kritik stehen lassen. Denn aus sozialpolitischer Perspektive bleibt die Betrachtung der Agenda 2010 unvollständig. Wir sollten uns immer mal daran erinnern, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum ALG II nicht bedeutet, dass die Politikfelder Arbeitsmarktpolitik und Sozialpolitik jetzt eins geworden wären.

Die besonders ärgerliche Formulierung vom „Fördern und Fordern“ ist dabei leider nicht aus den Köpfen und den Texten zu verbannen. Ob wir Menschen helfen, indem wir Forderungen an sie aufstellen, ist dabei auch generell zu hinterfragen. Die mit den „Sanktionen“ verknüpften Forderungen im Rahmen des SGB II können in diesem Zusammenhang allenfalls als Lehrbeispiel für schwarze Pädagogik durchgehen.
Beim ALG II handelt es sich bekanntlich um ein soziokulturelles Existenzminimum. Diese Form der Existenzsicherung ist verfassungsrechtlich garantiert, womit die Formulierung von Vorbehalten speziell hierfür unzulässig ist. Beim nackten Existenzminimum geht daher der rein sozialpolitische Aspekt zwingend vor. Eine verfassungsrechtliche Garantie ist nicht an Bedingungen geknüpft und begründet keine Pflichten.

Das bedeutet ja im Übrigen nicht, dass es überhaupt keine Leistungen mehr gäbe, für die die Erwartung von Gegenleistungen unstatthaft wäre. Denn für alle Leistungen, die über das Minimum hinausgehen, ist die Diskussion darüber, was wir damit verknüpfen wollen, grundsätzlich zulässig. Leistungen über das soziokulturelle Existenzminimum hinaus berühren dieses ja nicht. Nur für das Minimum gilt: Ein Minimum heißt Minimum, weil es noch niedriger nicht geht.
Genau diese Differenzierung vermisse ich noch und fordere sie hiermit ein. Gerne bin ich auch bereit, das Verständnis dafür zu fördern.

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