Einer der großen Vorteile des Web ist der vergleichsweise schnelle und effektive Medienüberblick, den es ermöglicht. Recherche ist deutlich einfacher als in rein analogen Printmedien – die natürlich weiterhin ihre Berechtigung haben. Besonders hilfreich im Netz sind die zahlreichen Multiplikatoren, die einen erst auf manchen interessanten Artikel stoßen lassen.
Leider „informiert“ sich der weitaus überwiegende Teil des Bevölkerung über das Fernsehen, dabei muss dieses gemessen an der Vor- und Nachberichterstattung der Bundestagswahl 2009 als Loser Nummer eins gelten, noch vor den Mainstreamblättern im Printbereich.
Die vor allem durch die Glotze beförderte mediale Konzentration auf nur acht „Spitzenpolitiker“ (Merkel, Steinmeier, Westerwelle, Künast, Trittin, Lafontaine, Gysi und Guttenberg) wird der komplexen Angelegenheit Politik nicht gerecht. Man sollte, wenn man Politik richtigerweise auch mit den handelnden Personen verbindet, die zweite Reihe viel stärker in Augenschein nehmen.
Erst jetzt, nach der Wahl, stellen dieselben Mainstreammedien völlig entgeistert fest, dass Schwarz und Gelb bei der Bildung einer neuen Regierung vor massiven Personalproblemen stehen. Umweltministerin Gönner? Wichtigstes Ziel: Laufzeitverlängerung für ihre Freunde von der EnBW. Innenminister de Maizière? Bewarb sich vor allem durch die Vernichtung brisanter Akten. Arbeitsminister Pofalla? So weit ist es schon gekommen. Jung jetzt Verkehrsminister? Der ungeschriebene Grundsatz einer möglichst kompetenzfreien Besetzung für dieses Amt soll wohl fortgesetzt werden.
Besonders schlimm ist es für die FDP. Außenminister Westerwelle? Hmja, Englisch konnte zum Beispiel Helmut Kohl auch nicht, aber auch davon abgesehen spricht inhaltlich nichts dafür, nur deutsche Koalitionstradition. Finanzen und Wirtschaft? Auch nicht sein Ding. Wer soll überhaupt für die FDP in die Regierung? – Man hätte es vorher wissen können. Die FDP ist eine Einmannpartei ohne ministrables Personal. Für das konsequente Totschweigen dieser Problematik in der deutschen Publizistik verleihe ich Platz eins in der Disziplin Meinungsmache durch Informationszurückhaltung.
Nicht weit dahinter folgen die inhaltlichen Fragen der Politik, die jetzt auf einmal auffallen, im Wahlkampf aber geradezu hartnäckig ignoriert wurden. Schwarzgelb gefährdet den Erfolg der Kopenhagener Klimakonferenz. Aha, jetzt auf einmal. Aber gut, dass wir vorher dazu geschwiegen haben. Dezentrale Energieerzeugung ist unpraktisch für die Konzerne. Logisch. Aber der Artikel passte halt nicht zur Blattlinie und fürs Fernsehen ist sowas eh zu kompliziert. Finanzpolitik ist mehr als nur eine Verteilungsfrage? Auch hier gibt es Journalisten, die darüber schreiben könnten, aber wahlweise nicht dürfen oder nicht wollen. Das Netz ist zu frei und jeder kann da machen, was er will? Das ist natürlich ein Problem, es könnten ja auch wichtige Informationen verbreitet werden.
Und wenn das alles immer noch nicht reicht, konfrontieren wir die Leute und Parteien mit den Inhalten so lange mit Debatten über Koalitionen und Machtoptionen, bis die Inhalte in den Hintergrund treten. Da setze ich auch meinen Hauptvorwurf an die grüne Wahlkampfleitung an, nämlich dass man auf diese Problematik unzureichend vorbereitet zu sein schien und auch die Geschlossenheit ein wenig zu bröckeln drohte. Während Jürgen Trittin und Cem Özdemir die Thematik vergleichsweise souverän parierten, konnte man manchen Eiertanz von Renate Künast nur noch mit Mühe ertragen. Letztlich waren hier die von außen herangetragenen Ablenkungsmanöver zu erfolgreich, Platz drei.
Angesichts des tatsächlichen Wahlergebnisses eher zum Randthema wurde die Wahlrechtsdiskussion, deren Brisanz von wenigen Ausnahmen abgesehen erst eine Woche vor der Wahl thematisiert wurde, was natürlich viel zu spät war. Außerdem enthielten die meisten Artikel über Überhangmandate, taktisches Wählen und Negatives Stimmgewicht so viele Fehler, dass man wirklich zu dem Eindruck gelangen konnte, in mancher Redaktion wären nur Volltrottel am Werk. Da hier aber schon der Erwartungshorizont nur sehr niedrig war, reicht es nur zum vierten Platz.
Ein besonderer Award geht an die taz für ihre Wahlempfehlungen, die zwischen Mitleid und reiner Lehre keinen Platz mehr zu lassen schienen.
Was können und sollten wir daraus lernen?
Erstens: Weitermachen in den Neuen Medien, was im Wahlkampf ja schon gut lief.
Zweitens: Bitte keine hohlen Koalitionsdebatten mehr.
Drittens: Stärkere mediale Konfrontation des Personals der zweiten Reihe suchen. Die anderen können da nur verlieren.
Viertens: Durch das Wahlrecht kann man viel beeinflussen. Eine breite öffentliche Debatte dazu sollte von Grün ausgehen.
Richtig, was gestern zweite/dritte Reihe war, ist heute schon erste: „Schwesig wird Vize-Chefin der SPD!“
http://www.ostsee-zeitung.de/nachrichten/brennpunkt/index_artikel_komplett.phtml?param=news&id=2568319
Wie schon bei der Berufung ins Wahlteam konnte Frau S. der Verlockung nicht widerstehen. Oder fand sich einfach mal wieder niemand anderes? „Die Kanzlerin hat Schrott geredet“ scheint in der SPD ja schon Qualifikation genug zu sein, um Partei-Vize zu werden.
Mal ganz im Ernst: Da ist jetzt aber auch ein Spitzenteam bei der „neuen“ SPD beisammen. Oder ist das gar der überaus clevere Versuch der SPD, Lavo, Gysi und Bisky auszuschalten, indem man diese zum sich-totlachen bringt? Hat die SPD denn immer noch nicht begriffen, dass sie – die SPD – der Gegner der Linkspartei ist, und nicht schwarz, gelb, grün?
„Während Jürgen Trittin und Cem Özdemir die Thematik vergleichsweise souverän parierten“ – betreffs Letzterem dies hier:
http://www.welt.de/politik/article4471355/Wie-cool-kann-Cem-Oezdemir-schon-sein.html
Das Drama um Cem Özdemir haben wir an anderer Stelle schon gestreift.
„Die Welt“ ist auch online sicher kein linksverdächtiges Medium, um so interessanter die Umfrageergebnisse auf der empfohlenen Seite.
1. Trauen Sie Schwarz-Gelb zu, das Land erfolgreich zu regieren?
Ja 47%; Nein 53% bei 14032 abgegebene Stimmen.
2. Welches Regierungsbündnis wäre Ihnen im Bund am liebsten?
Große Koalition (CDU/SPD) 4%
Schwarz-Gelb (CDU/FDP) 42%
Schwarz-Grün (CDU/Grüne) 12%
Jamaika (CDU/FDP/Grüne) 5%
Ampel (SPD/FDP/Grüne) 6%
Linkskoalition (SPD/Grüne/Linke) 31%
bei 2111 abgegebene Stimmen
Was sagen die Korrelationsforscher dazu?
Auf den Seiten der Welt liegt die Linkspartei auch bei 20% in der Sonntagsfrage. Das Umfragetool dort scheint also nicht sicher vor Manipulation zu sein.
Ich halte den Eindruck der hier vermittelt wird für falsch!
Nur erste Reihe im Fernsehen? Die beste Diskussionsrunde der letzten Wochen vor den Wahlen war die der Generalsekretäre in der Woche vor der Wahl. Das im Wahlkampf die erste Reihe vermehrt zum Einsatz kommt ist zwar richtig, aber nichts desto trotz können mit ihnen kaum alle Polittalkshows im deutschen Fernsehen gefüllt werden. Zieht man eine ganze Legislaturperiode heran, dann sieht man mehr zweite Reihe als einem lieb ist.
Und überhaupt – wie kann man sich die zweite Reihe wünschen wenn nur wenige Sätze später selbige derart abgewatscht wird?
Vielleicht weiß es der Autor noch nicht, aber es ist in der Politik selbstverständlich, dass bei einem politischen Amt Parteibuch, Flügel Bundesland und sonstige Banalitäten schon immer mehr zählten als die Qualifizierung. Das ist nun wirklich keine Erkenntnis mehr.
Und zuletzt auch noch ein Wort zu den Koalitionsdebatten: Macht mal eine Umfrage was die Deutschen lieber wählen würden: Parteien oder Koalitionen. Auf das Ergebnis wäre ich gespannt. Natürlich sollte man keinen Wahlkampf führen in dem man sich an einer möglichen Koalition abarbeitet – man sollte auch nicht selbst alles auf eine bestimmte Koalition setzen, aber der Wähler will schon wissen, was möglich ist.
Einer der großen Fehler der SPD war doch die selbstverbaute Machtperspektive. Der Kanzlerkandidat Steinmeier war gar keiner: er war Vizekanzlerkandidat. Er macht Wahlkampf gegen Schwarz-Gelb, will aber Westerwelle zu einer Ampel-Koalition verführen – ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren warum diese Koalition etwas Gutes wäre.
Nein, auch Aussagen zur Koalition gehören in den Wahlkampf und wenn es nur die ist, dass man für alles offen ist. Der Wähler muss wissen woran er ist.
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