Es war für mich die erste aktiv miterlebte Bundesdelegiertenkonferenz seit langem, und ich möchte den Verlauf des Wochenendes in Rostock als durchaus motivierend bezeichnen. Nicht zuletzt der inoffizielle Themenschwerpunkt Kontaktpflege unterstreicht die Funktion solcher Veranstaltungen, auch wenn es vordergründig um wenig Handfestes zu gehen scheint. Konkret hat da vor allem auf der Ebene unseres eigenen Landesverbands unsere Ersatzdelegierte Ulrike die Zeit gut genutzt, während unsere Delegierte Anne sich in erster Linie auf den Tagesordnungspunkt „Afghanistan“ vorbereitet hatte. Mir als Gast und Drittem im Bunde kam schließlich die Aufgabe zu, die Strategiedebatte aufmerksam zu verfolgen.
Für die innerparteiliche Strategie gilt nach dem Rostocker Parteitag damit als allererste Grundregel: Stellt Anträge! Generell nichts Besonderes, möchte man meinen, doch die grüne Methodik der Konsensfindung allgemein und in Rostock in sehr auffälliger Weise erfordert nun einmal, alles, was man in den Konsens integriert wissen möchte, zunächst als eigenen Antrag zu formulieren. In den Reihen der AntragsstrellerInnen sollte sich neben einem selbst der eine oder andere B-Promi (Landtagsfraktionschef, aufstrebender fachpolitischer Sprecher oder ähnliche) befinden, ferner RepräsentantInnen aus wählerstimmenmächtigen Kreis- und Landesverbänden. Das dadurch im Vorfeld in absehbarer Weise entstehende Medienecho wird dann genutzt, um auf dem bilateralen Verhandlungswege den Leitantrag des Bundesvorstands zu ergänzen oder zu modifizieren, wobei die Bereitschaft zum Rückzug des eigenen Antrags durch die Gegenleistung eines „gesetzten Redebeitrags“ erkauft wird.
Wenn man also selbst mal bei den Grünen richtig wichtig werden möchte, muss man Schritte unternehmen, möglichst bald selbst zum Kreis der verhandelnden AntragsstellerInnen zu gehören. Und: Wer gut vernetzt ist, ist klar im Vorteil.
Somit kam es in der Strategiedebatte (wie auch bei den Anträgen zur Klimapolitik und zur Atompolitik) am Ende nicht zu einer kontroversen Abstimmung. Statt dessen wurden konsensuale Anträge mit großen Mehrheiten beschlossen, wobei, um auf die Strategiedebatte zurückzukommen, es bei einem solchen Verfahren gerne die Textgestaltung ist, die am meisten darunter leidet.
Verhältnismäßig viel durchsetzen konnten die Initiatioren des „18-Thesen“-Antrags, Tarek Al-Wazir und Arvid Bell. Und in der Tat hat bei allen verbliebenen Mängeln die Übernahme zentraler Elemente dieses Antrags den Gesamtbeschluss um Einiges erträglicher gestaltet. Dazu zähle ich vor allem die Aufnahme selbstkritischer Abschnitte, die klare Verortung der Grünen im linken Spektrum, aber auch die Ermunterung für die starken Landesverbände wie Berlin oder Baden-Württemberg, es auch mal mit einer eigenen Kandidatin für das Amt der Regierungschefin zu versuchen (genderneutral war das jetzt zu umständlich).
Arvid Bell durfte sich auch über den – anhand des allgemeinen Beifalls deutlich messbaren – Sonderpreis für die beste rhetorische Leistung außerhalb der mediengerechten A-Promi-Beiträge freuen. Arvid formulierte anhand zweier „Visionen“ die Gefahren eines allzu nachgiebigen Kurses. Die „ökolibertäre Volkspartei“ laufe Gefahr, die notwendige Radikalität gerade in der Umweltpolitik aus dem Blick zu verlieren. Die „moderne Ökoscharnierpartei“ wiederum verbiete sich aufgrund deutlich unterschiedlicher Grundwerte diesseits und jenseits des Scharniers. Die Absage an innergrünes Lagerdenken verband Arvid mit der Feststellung, dass in der Partei letztlich doch alle sowohl linke Ideale verträten als auch Reformen wollten.
Die gar so mittigen Reformer aus Esslingen und Umgebung erreichten weniger Übernahmen und hielten sich in der Debatte auch merklich zurück. Gerade in Baden-Württemberg mag es einigen FreundInnen schwarz-grüner Bündnisse auf den Magen geschlagen haben, dass der designierte Nachfolger von Euro-Oettinger nun womöglich Stefan Mappus heißen soll, für den auch Boris Palmer keine freundlichen Worte mehr übrig hat. Dass sich Palmer und Kameras geradezu magnetisch anziehen, war im Übrigen auch eine Erkenntnis der BDK: Der Tübinger OB sorgte hier das eine oder andere Mal für Verkehrsprobleme.
Beschlossen wurde der ausgiebig ergänzte und modifizierte Leitantrag des Bundesvorstands schließlich mit überwältigender Mehrheit. Unter den „wenigen Enthaltungen“ befand sich dabei die komplette Abteilung des KV Freiburg.
Und zum (vorläufigen) Schluss noch Dank und Gruß an Burkhard, der nach eigener Aussage jetzt auch regelmäßig hier mitliest.