Eine sachliche Atmosphäre ersetzt noch keine Inhalte

Ein Ergebnis der Bundestagswahl am 22. September war: Keine Partei kann die Koalition bilden, die sie sich gewünscht hat. Folglich musste seither über Konstellationen geredet werden, die vor der Wahl niemand wollte.
Das nennt man dann „Sondierungsgespräche“ und in der Außensicht ist das ziemlich quälend, weil sich vieles dabei hinter wolkiger Sprache versteckt und jede Kleinigkeit zu den absurdesten Interpretationen führen kann.

Immerhin gibt es seit der letzten Nacht schon mal eine Option weniger.
Für eine Koalition aus CDU, GRÜNEN und CSU fehlt offensichtlich eine inhaltliche Grundlage. Das überrascht nicht, deswegen sollte man aus dieser Meldung auch nicht mehr machen, als sie verdient hat.

Gelobt wurde allenthalben die „sachliche und konstruktive Atmosphäre“. Das ist zwar einerseits auch wieder eine Formel, andererseits drückt das vielleicht einfach nur das Erstaunen manches Menschen in den Unionsparteien darüber aus, dass man eine Liste inhaltlicher Themen einfach mal strukturiert abarbeiten kann. In Volksparteien scheint das nicht üblich zu sein, auch die SPD scheint ja gelegentlich merkwürdig an solche Gespräche heranzugehen. Wir GRÜNE machen das aber oft so.

Dass es inhaltlich nichts werden konnte, zeigt schon die Länge des Katalogs strittiger Punkte. Das fängt an beim für uns zentralen Thema Klimaschutz, wo von CDU und CSU anscheinend gar nichts Belastbares kam, sowie den eng damit verbundenen Themen Agrar und Verkehr. Diese Bereiche müssen aus unserer Sicht auch ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Wenn darüber schon keine Einigkeit zu erzielen ist, wird es eben schwer.
Und wer sich weiter gegen Mindestlohn, verfassungskonforme Regelsätze und eine solidarische Finanzierung des Gesundheitswesens wehrt, sollte auch mal zur Kenntnis nehmen, dass es für diese Neinsagerei keine_n Bündnispartner_in im Bundestag gibt.
Schließlich ist auch die gelegentlich erwähnte „Annäherung in gesellschaftspolitischen Fragen“ bei näherer Betrachtung kaum ausreichend. Die Gleichstellung von Schwulen und Lesben gehört da zum Beispiel nicht dazu. Und wurde über Frauenpolitik, Innen und Recht überhaupt gesprochen?

Hinzu kommen die nicht unwesentlichen Unterschiede in der Herangehensweise. So weigert sich die Union in vielen Punkten, konkret zu werden, wo es nötig ist. Das geht bis hin zum Punkt der Gegenfinanzierung. Ohne diese zu benennen, bleibt jedes Vorhaben vage. Andererseits nervt an CDU und CSU die Neigung, sich bestimmte Symbolthemen herauszupicken und darüber langfristige Ziele völlig aus dem Blick zu verlieren. Paradebeispiel ist die Mautdebatte. Wer den Verkehrsbereich darauf reduziert, verweigert sich im Grunde einer systematischen Mobilitätspolitik, die fragt: Wie sollen sich Menschen künftig fortbewegen können und was wird dabei auf welche Weise gefördert? Die Mautdiskussion ist schon allein deswegen abzulehnen, weil sie daran hindert, über die notwendige Verkehrswende zu reden.

Tja, und nu?
Aus der SPD sind ja zahlreiche Stimmen zu vernehmen, nach denen eine Große Koalition als sehr problematisch angesehen wird. Allerdings bringen sich die Sozialdemokraten selbst in eine unkomfortable Lage, solange sie über andere Konstellationen nicht einmal sondieren wollen. Der Grundsatz sollte ja an sich sein, dass alle demokratischen Parteien miteinander reden sollten. Wer aber über ein rechnerisch mögliches rot-rot-grünes Bündnis nicht einmal nachdenken möchte, wird auch später nie konkrete Punkte nennen können, wegen derer dieses Bündnis nicht zustandekommen konnte. Und darunter kann auch der Punkt sein, dass die Mehrheit zu knapp ist und das Bündnis damit erpressbar wäre. So einen Aspekt darf man, auch im Sinne allgemeiner Glaubwürdigkeit, gerne mal ausdrücklich ansprechen.

Auch eine Minderheitsregierung, die sich ihre Mehrheiten von Fall zu Fall suchen muss, fällt für mich weiter unter den Grundsatz, dass man nicht von vornherein bestimmte Konstellationen ausschließen darf.

Und auch CDU und Linkspartei haben eine rechnerische Mehrheit und sollten vielleicht mal sondieren, was geht. Dass diese Konstellation zumindest habituell ganz gut passt, sehen wir ja zum Beispiel bei uns im Landkreis schon ganz gut.

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