Grüne Asymmetrien

Nachdem in grünen Kreisen der erste Sturm der Entrüstung über die Entscheidung des saarländischen (!) Landesverbands (!), Koalitionsverhandlungen (!) mit CDU und FDP aufzunehmen, gelegt hat, taucht prompt ein netter BDK-Antrag auf, auch irgendwo aus dem Süden, und nennt sich „Jenseits der Lager“. Beides hängt zusammen. In beiden Fällen verhalten sich grüne und grün-affine Leute mal wieder wahlweise hyperemotional oder völlig unsensibel. Ärgerlich ist daher, dass es kaum möglich ist, in dieser Stimmungslage noch mit einigermaßen – zumindest in der Art und Weise – moderaten Urteilen durchzudringen. Wem es ganz gut gelingt, ist nicht überraschend einmal mehr Till Westermayer – man vergleiche hier vor allem das Niveau des Beitrages mit dem einiger  Kommentare.

Also zuerst noch mal zum Saarland. Wer jetzt meint, die gesamte Partei für die Entscheidung eines verhältnismäßig kleinen Landesverbandes in Sippenhaft nehmen und wahlweise mit Nichtwahl oder Austritt zu drohen zu müssen, hatte höchstwahrscheinlich schon vorher ein Problem mit den Grünen und hat nur noch nach einem Anlass gesucht. Dazu passt eben auch, dass im Saarland und nur für das Saarland niemand im Vorfeld jene Koalition ausgeschlossen hat, die noch nicht einmal beschlossen ist, sondern über die nun erst mal richtig verhandelt wird.

Ein Großteil der Empörung wird dabei vermutlich von Leuten geäußert, die womöglich noch nie in ihrem Leben im Saarland waren, dennoch aber glauben, es besser zu wissen als die, die da eben selbst ansässig sind. Bemerkenswert ist auch die Asymmetrie der Empörung. Die lautstarken Befürworter von „Rot-Rot-Grün“ (wobei in auffälliger Weise das Grün gerne am Schluss genannt wird) glauben leider anscheinend allzu oft, aus einer Position der moralischen Überlegenheit heraus argumentieren zu können. Komisch, dass nie jemand merkt, wie wenig überzeugend genau das ist. Es gibt auch in der anderen Richtung genügend scheinbare Anlässe zur Empörung. Der Landkreis Demmin ist mit 1921 km² nur unwesentlich kleiner als das Saarland (2569 km²). Die dortigen Grünen hatten bei der jüngsten Kreistagswahl mit 3,5% auch nicht so viel weniger als die Saar-Grünen mit ihren 5,9%. Im Kreis Demmin gibt es jetzt eine Fraktionsgemeinschaft PDL/GRÜNE. Der wesentliche Unterschied ist nur, dass das bis jetzt nur kaum einer gemerkt hat. Sonst bestehen weitreichende Gemeinsamkeiten zwischen beiden Fällen. Beide taugen nicht als Signalwirkung für Modelle auf Bundesebene. Beide Entscheidungen wurden vor Ort unter Berücksichtigung sehr spezieller Bedingungen getroffen. (Und in beiden Fällen hätte ich im Übrigen persönlich anders entschieden.)

Was kaum kritisiert wird, ist hingegen die autokratische Struktur unseres saarländischen Landesverbandes. Nur Daniel Cohn-Bendit und erneut Till setzen hier ihre Kritik an. Den Berufsempörern ist das jahrelang weder aufgefallen noch aufgestoßen. Oder es haben einige von ihnen möglicherweise selbst Sehnsucht nach Autorität, nur eben bitte links. Also nochmal: Der saarländische Landesverband der Grünen ist ein fragwürdiger Haufen, aber das nicht erst seit letztem Sonntag.

Aber statt es jetzt damit mal gut sein zu lassen, wittern unsere „Reformer“ Morgenluft, und versuchen es mit einem BDK-Antrag namens „Jenseits der Lager“. Da steht vor allem im hinteren Teil viel Wahres drin. Eine Strategie der Eigenständigkeit ist auch für mich der richtige Schluss aus der Wahl, Grün ist nun mal etwas anderes als Rot und das sollte auch klar zum Ausdruck kommen. Das gesamtrote Desinteresse gegenüber Fragen der Generationengerechtigkeit beispielsweise wird endlich mal ausdrücklich erwähnt.

Der vordere Teil ist grauenvoll.

Das Unwort des Wahlkampfes war bekanntlich „Machtoption“. Doch statt ein Denken in prioritär dieser Kategorie zu hinterfragen und abzulehnen, wird genau damit argumentiert. Auch das besonders leidige „Argumentieren mit Zahlen“, auch solchen aus der Demoskopie, kommt nicht zu kurz. Wenn das geänderte Verhältnis von Erst- und Zweitstimmen als Beleg für irgendwelche Beweggründe der WählerInnen herhalten muss, hört bei mir alles auf. 2002 und 2005 wurden Koalitionswahlkämpfe geführt, in denen Erststimmen für SPD-KandidatInnen an den meisten Orten ausdrücklich erwünscht waren. Diesmal stand nicht nur keine Rot-Grüne Koalition zur Abstimmung, es wurden in einigen Wahlkreisen auch explizite grüne Erststimmenkampagnen gefahren, weil absehbar war, dass GRÜN in manchen dieser Regionen vor der SPD landen werde.

Die AutorInnen des Papiers meinen, aus bestimmten Entwicklungen in Süddeutschland auf den Rest des Landes schließen zu dürfen. Ich erkenne ausdrücklich an, dass es in Baden-Württemberg und Bayern keine realistische Regierungsperspektive für eine Koalition aus Parteien links der Mitte gibt und deswegen die Grünen dort die Tür zu CDU bzw. CSU nicht mit aller Macht zuhalten können. Aber genau das ist eben eine landesspezifische Beurteilung der Situation. Ich komme schließlich auch nicht auf die Idee, aus den Verhältnissen in Mecklenburg-Vorpommern irgendwelche Strategien für Baden-Württemberg abzuleiten. Bei uns im Nordosten gibt es eben keine gesellschaftliche Mehrheit für Schwarz-Gelb-Grün. Der Landkreis Esslingen ist keine Miniaturausgebe der Bundesrepublik, erst recht nicht des Teils, der vor 19 Jahren beigetreten ist. Deswegen kann es nur den Schluss geben, dass über die jeweilige Strategie die Landesverbände selbst entscheiden müssen. Es ist kein Zufall, dass in den Reihen der AntragsstellerInnen die Landesverbände Bayern und Baden-Württemberg dominieren, während aus dem Osten fast nur Pankow und Oberhavel, also die Standorte unserer Wohlstandszuzügler, vertreten sind. Ein Antrag jedenfalls, der am Ende nur die Interpretation „Grüne öffnen sich grundsätzlich für Jamaika“ zuließe, kann kein gutes Signal sein.

3 Kommentare bei „Grüne Asymmetrien“

  1. Wolfgang Geisselbrecht sagt: Antworten

    Eine Regierung mit Grün ist immer grüner als alle Regierungen ohne Grün.
    Jenseits der Lager läßt sich also stets mehr grüne Politik realisieren, ja sogar bis zu 100% !

  2. Das Aktuelle ZDF-Politikbarometer vom 16.10.2009 verkündet:
    http://politbarometer.zdf.de/ZDFde/inhalt/28/0,1872,7912892,00.html?dr=1
    -„Jamaika auf Länderebene – Grüne finden es gut

    Im Saarland haben sich die Grünen mit deutlicher Mehrheit für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit CDU und FDP entschieden. Eine solche Jamaika-Koalition findet als Koalitionsoption für die Bundesländer vor allem bei den Anhängern der Grünen deutliche Unterstützung. Dort finden dieses Koalitionsmodell auch für andere Bundesländer 64 Prozent gut, 15 Prozent schlecht und 20 Prozent ist es egal.“-

    Die hier und an anderer Stelle beschworene „lokale Beschränkung“ der Entscheidung der Grünen im Saarland gibt es also nicht.
    Wortspielerisch könnte man ja noch eine lokale „politischen Beschränktheit“ konstatieren. Politik ist lokal nicht greifbar, Grüne Poltik droht inzwischen sogar „unbegreifbar“ zu werden!

    1. Die Erhebung im Politbarometer bringt nicht viel, denn es wurde nur nach einer möglichen Koalition gefragt, ohne ALternativen zu nennen. Interessant und wirklich aussagekräftig wären Resultate auf die Frage an Grün-Wähler „Sollen die Grünen im Zweifel lieber mit Schwarz-Gelb oder mit Rot-Rot koalieren?“
      Die 64% sind sehr durchsichtige Stimmungsmache, finde ich.

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