Großes vor, hat, so vermeldete am Mittwoch die OZ, das Straßenverkehrsamt Stralsund für die Insel Usedom. Großen Unfug.
Der Unfug besteht aus dem Irrglauben, mit einer „Verkehrsbeeinflussungsanlage“ könne den durch den motorisierten Individualverkehr verursachten Problemen abgeholfen werden. Werde der Verkehr erst richtig „gelenkt“, so gebe es weniger Stau.
Das Problem ist die vorgebliche Lenkung. Individualverkehr ist, wie schon der Name sagen sollte, individuell. Er unterliegt bestimmten Regeln, die auch nicht überall eingehalten werden, wo es angemessen wäre. Darüber hinaus ist die Entscheidung, ob und wann jemensch individuell am Straßenverkehr teilnehmen möchte, grundsätzlich frei und damit nicht „lenkbar“.
Anders ausgedrückt: Das Wesen des Individualverkehrs sind nicht einzelne, punktuell auftretende Zustände der Unordnung (häufig in etymologisch fragwürdiger Weise als „Verkehrschaos“ bezeichnet). Vielmehr handelt es sich per se um ein ungeordnetes System. Die aus dieser Unordnung resultierenden Störungen („Staus“) sind somit systemimmanent.
Wer also die Ausgangsparameter des Systems nicht grundsätzlich hinterfragen möchte, wird daher nichts ändern können, ausgenommen selbstverständlich die Orte, an denen Störungen besonders häufig auftreten.
Dabei ist die Erkenntnis, dass im Sommer die Gesamtmenge des motorisierten Individualverkehrs auf der Insel Usedom zu groß ist, um einen weitgehend störungsarmen Ablauf zu ermöglichen, geradezu trivial. Eine Erhöhung der Kapazität des Systems hätte nun zwangsläufig zwei Folgen. Erstens würde durch die so erzeugte kurzfristige Attraktivitätssteigerung zusätzlicher Verkehr erst erzeugt. Zweitens würden die so erhöhten Belastungen durch Flächenverbrauch, Lärm und Verschmutzung die Erholungsqualität des Raumes verringern. Der Punkt, an dem sich die Urlaubsregion durch mehr mit dem Auto anreisende Gäste ins eigene Fleisch schneidet, ist dabei möglicherweise bereits erreicht.
Somit kann die Lösung nur in Verkehrsvermeidung únd Verkehrsverlagerung bestehen. Die Usedomer Bäderbahn hat hierzu vorgeschlagen, den Takt ihrer Züge im Sommer auf einen 20-Minuten-Abstand zu verdichten. Dazu müssten bauliche Voraussetzungen in Form von zusätzlichen Ausweichgleisen geschaffen werden. Und das Projekt „Karniner Brücke“ wollen im Prinzip auch alle. Nur, wenn dann gleichzeitig etwas gefordert wird, was auf eine Förderung des Autoverkehrs hinausläuft, wird die Realisierung von Bahnprojekten nicht einfacher, weil es dann schnell heißt: beides geht nicht. Wer das eine will, muss das andere lassen. Schließlich geht es ja auch um Geld, das aus Berlin kommen müsste und von dem nicht zu erwarten ist, dass es automatisch fließt.
Im Sinne des Fließens bzw. des Verkehrsflusses geht es möglicherweise sogar wesentlich preiswerter. Wird nach systemimmanenten Maßnahmen gefragt, die geeignet sind, wenigstens das Störungsrisiko zu verringern, so ist als Nächstes zu fragen, an welchen Parametern etwas geändert werden muss, um den Verkehrsfluss zu erhöhen. Und auch hier ist die Erkenntnis unspektakulär. Bei geringeren Geschwindigkeiten ist es einfacher, einen gleichmäßigen und störungsarmen Verkehrsfluss zu erreichen. Denn so passen mehr Fahrzeuge auf einen Straßenabschnitt und die Geschwindigkeitsunterschiede durch Ein- und Ausfädeln oder an Kreuzungen fallen weniger stark ins Gewicht. Bis die Kapazitäten der Bahn erweitert sind, sollten wir es also zunächst mit einem einfachen Tempolimit versuchen.
„..Denn so passen mehr Fahrzeuge auf einen Straßenabschnitt“
Komische Mathematik! Bei v=0 passen die meisten Fahrzeuge – Stoßstange an Stoßstange – auf die Straßen. Aber die Durchlassfähigkeit (Fahrzeuge pro Zeiteinheit) ist dann auch gleich Null.
Und der maximale Durchfluss wird bei einer Geschwindigkeit von etwa 40 km/h erreicht, was nach den Maßstäben, die sich der motorisierte Individualverkehr üblicherweise setzt, eine eher niedrige Geschwindgkeit ist.
Apropos komische Mathematik:
Hier geht es zu einer guten Simulation der Situation, siehe auch Button „Stadtverkehr“:
Sorry, der Link: http://www.traffic-simulation.de/ger
@Torsten
Das ist zwar eine sehr schöne theoretische Simulation, aber für den Verhehr auf der Insel Usedom gibt es darin keinen Vergleich. In den meisten Fällen gehen zwei Spuren in einer Richtung.
Wenn Du das durchrechnest mit Geschwindigkeiten und erforderlichem Sicherheitsabstand entsprechend der gefahrenen Geschwindigkeit, dann wirst Du sehen, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung welcher Art auch immer, die Durchlassfähigkeit der Straße nur unwesentlich beeinflusst. Dazu kommen die Ampeln auf der Insel und in Wolgast und die Brückenöffnungszeiten.
Für die Optimierung der Brückenöffnungszeiten setzt sich Peter Freygang ein. Siehe OZ. Man sollte ihn unterstützen
@Kulbrod
Ich möchte sicherlich nicht das letzte Wort schreiben in dieser Sache. Natürlich ist das zunächst mal Theorie.
Nur, es scheint sich herauszukristallisieren, (siehe z.B. http://de.wikipedia.org/wiki/Nagel-Schreckenberg-Modell#Fundamentaldiagramm), dass das individuelle Fahrverhalten eine_s jeden Verkehrsteilnehmer_in der Flaschenhals, d.h. die Stauursache Nr.1 im Freifluss zu sein scheint (zufälliges Trödeln, Bremsen, Beschleunigen).
Dass eine Ampel bzw. geschlossene Brücke eine vollständig andere Stauquelle ist, die den Fluß auf 0 bringt, ist unbestritten.
Italienische Großstädte machen es da vor, die Ampeln werden einfach von allen Leuten mißachtet, und der Verkehr fließt bei 30km/h. Das erfordert jedoch ein gutes Maß an gegenseitiger Rücksichtnahme….in D?
Aus diesen Gründen wurde für Usedom-Wollin eine Zu/Abflusssteuerung (durch Tore, ähnlich einem Mautsystem) vorgeschlagen (über die sich m.E. dann eine max. Geschwindigkeit automatisch ergibt http://www.mobilitaet21.de/uploads/tx_userumm21/Usedom-Wollin-Info.pdf).
Leider finden die Verantwortlichen nicht zusammen, m.E. aus Eitelkeit bzw. aus Mißerfolgsangst „wir wären die Ersten in D die sowas machen“.