Mehrsparten- statt Mehrfahrtentheater

Die Theater und ihre Ensembles sind für uns Bündnisgrüne unverzichtbare Bestandteile einer Stadtgesellschaft. Die Besucherinnen und Besucher identifizieren sich mit ‚ihren‘ Künstlerinnen und Künstlern. Spielpläne und Inszenierungen eines Stadttheaters prägen und sind geprägt vom jeweils besonderen kulturellen Charakters des Ortes. Hierzu gehört gerade auch die Auseinandersetzung mit der Kunst – das Berichten, Schwärmen, Kritisieren, Empfehlen, Wiedersehen, Empören – im Stadtgespräch. Dieses Potenzial unterscheidet das Stadttheater vom Gastspiel- und Tourneebetrieb. Die Theater- und Musikschaffenden tragen zudem weit über ihr Bühnenwirken hinaus zur Vielfalt und Attraktivität des Stadtlebens bei: durch Unterricht an Musikschulen, Beteiligung an Veranstaltungen und Kooperationen mit der freien Kultur, mit Schulen und mit Kirchgemeinden.

Die Fusion der Theater im östlichen Landesteil und den Abbau von mehr als 100 Stellen halten wir daher für einen fatalen kulturpolitischen Weg. Die Pläne der Münchener Metrum
Managementberatung, die vom Land für alle Gutachten insgesamt 287.145 €
(vgl. Landtagsdrucksache 06/3216) erhält, beruhen überdies auf derart vielen Rechenfehlern und Fehlannahmen, dass sie nach einhelliger Meinung aller Expertinnen und Experten vor Ort auch mit Korrekturen nicht umsetzbar sind. Statt eines starken „Staatstheaters“ stünden am Ende fünf geschwächte Theaterstandorte, die faktisch von einem Tournee-Ensemble bespielt würden. So müssten die Künstlerinnen und Künstler und eine Reihe weiterer Beschäftigter künftig allein für die Aufführungen bis zu
20.000 Kilometer pro Spielzeit zurücklegen – Proben und auswärtige Gastspiele noch nicht eingerechnet. Es grenzt an Zynismus, wenn Metrum und die Landesregierung
behaupten, das Angebot und die Qualität würden trotz des Stellenabbaus und der enormen Reisewege durch eine Fusion sogar erhöht. Tatsächlich wurden rund 50 Prozent der heutigen Theaterveranstaltungen, nämlich alle Aufführungen außerhalb der vier Hauptbühnen, in den Fusionsplänen gar nicht erst berücksichtigt. Zu einer ehrlichen Debatte würde daher das Bekenntnis der Landesregierung gehören, dass eine solche Fusion selbstverständlich mit einem erheblichen Kulturabbau verbunden sein wird und das Ende der Stadttheater-Idee im östlichen Landesteil bedeutet. Es ist kein Zufall, dass es deutschlandweit kein Beispiel für eine erfolgreiche Theaterfusion über derart große Entfernungen hinweg gibt.
Künstlerinnen und Künstler gehören auf die Bühne und nicht auf die Autobahn. Anders als die Landesregierung glauben machen will, ist eine Fusion der Theater im östlichen Landesteil nicht alternativlos. Mit einer gemeinsamen Anstrengung der Theaterträger, des Landes und der Beschäftigten ist der Erhalt der eigenständigen Theater möglich.

 Alternativer Finanzierungsvorschlag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ausgangslage (lt. Metrum):
– Die Metrum Managementberatung prognostiziert für beide Theater des östlichen Landesteils im Jahr 2020 eine Gesamtfinanzierungslücke von ca. 5,8 Millionen Euro. Ein Großteil der Summe entsteht durch die für 2020 angesetzte Rückkehr zum Flächentarifvertrag. Die übrige Summe ergibt sich im Wesentlichen aus erwarteten Tarifsteigerungen bis 2020.
– Metrum will diese Summe vor allem durch den Abbau von 102 Stellen bis 2020 einsparen.
– Dabei entstehen bis 2020 zugleich einmalige Abfindungskosten in Höhe von mindestens 7
Millionen Euro.
Unsere Ziele:
– Erhalt der bisherigen Theaterstrukturen ohne Fusion und Spartenschließungen
– Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen
– jährliche Gehaltssteigerung um 2,5 Prozent (Inflationsausgleich) für alle Beschäftigten ab 2016
– Ende des derzeitigen Gehaltsverzichts (Haustarifvertrag) für niedrige Lohngruppen (zum Beispiel Schauspiel) spätestens ab 2020
– zeitlich verzögerte schrittweise Annäherung an den Flächentarif für höhere Lohngruppen
Finanzierung:
1. Dynamisierung der Zuschüsse um jährlich 2 Prozent durch Land und Kommunen bereits ab 2016 statt 2020 (Zusatzbetrag im Jahr 2020: 2,68 Mio. €)
2. Rückkehr zum Flächentarif zunächst nur für untere Lohngruppen (Einsparung gegenüber vollständiger Rückkehr zum Flächentarif:
2,4–2,9 Mio. €),
3. Kostensenkung durch Kooperationen in Einzelbereichen und weitere Maßnahmen (Ausgleich des Restdefizits)
1.) Dynamisierung der Zuschüsse um jährlich 2 Prozent durch Land und Kommunen bereits ab 2016 statt 2020
Die seit 1994 festgeschriebene Landesförderung ist die Hauptursache für die Finanzierungslücke der Theater. Der von der Landesregierung für das Jahr 2020 in Aussicht gestellte Einstieg in eine Dynamisierung ist nach Überzeugung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eindeutig zu spät. Die Dynamisierung muss mit dem nächsten Doppelhaushalt 2016/2017 beginnen. Die Kommunen sehen wir hier gleichermaßen in der Verantwortung.
Durch die Dynamisierung der Förderung ab 2016 würde den Theatern im Jahr 2020 insgesamt 2,68 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stehen. Die Mehrausgaben durch Träger und Land von 2016 bis 2020 summieren sich auf rund 7,9 Millionen Euro. Dem steht jedoch die Einsparung der Abfindungskosten in Höhe von mind. 7 Millionen Euro.

2.) Soziale Staffelung bei der Rückkehr zum Flächentarifvertrag: Fortführung des Gehaltsverzichts (Haustarifvertrag) für höhere Lohngruppen (zum Beispiel Orchester), jedoch bei entsprechendem Freizeitausgleich und jährlichem Gehaltsanstieg von 2,5%.

Die fehlende Dynamisierung der Theaterförderung wird bis heute durch einen erheblichen Gehaltsverzicht der Beschäftigten ausgeglichen. Wir sehen darin auch eine große Solidarleistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um Kündigungen und Einschnitte im kulturellen Angebot zu verhindern. Daher wollen wir, dass alle Beschäftigten ab 2016
einen jährlichen Gehaltsanstieg von 2,5% erhalten. Ab 2020 erfolgt die Steigerung entsprechend der Steigerung des Flächentarifvertrags.
Darüber hinaus schlagen wir vor, dass die Rückkehr zum Flächentarifvertrag sozial gestaffelt erfolgt: Beschäftigungsgruppen mit niedrigen Gehältern (wie z. B. Schauspiel, Solisten) sollen zum Flächentarifvertrag zurückkehren. Für Beschäftigungsgruppen mit höheren Gehältern (zum Beispiel Orchester) soll es hingegen bei der jährlichen Dynamisierung bleiben, jedoch sollen die Beschäftigten erstmals Freizeitausgleich
erhalten, der prozentual der Gehaltsdifferenz zum Flächentarifvertrag entspricht (Teilzeitmodell).
Gehaltsverhandlungen sind selbstverständlich in letzter Instanz Angelegenheit der Tarifpartner. Wir verstehen dies daher ausdrücklich als Diskussionsvorschlag. Wir sind uns bewusst, dass auch die höheren Lohngruppen bereits erheblich zu Einsparungen beigetragen haben. Die Gehaltssituation im Bereich der Soloverträge ist aus unserer Sicht jedoch inzwischen so problematisch, dass wir für diese besondere Solidarleistung
plädieren. Die Orchesterangehörigen wären auf der anderen Seite von einer Fusion in besonderem Maße betroffen, da ein Großteil der zusätzlichen Reisezeiten laut
Tarifvertrag nicht auf die Dienstzeit angerechnet würde. Soweit Einsparungen in anderen Bereichen möglich sind (z. B. Nichtneubesetzung einzelner frei gewordener Stellen durch Renteneintritt), ist auch eine schrittweise Wiederannäherung an den Flächentarif denkbar.
Mögliche Einsparungen gegenüber Rückkehr zum Flächentarifvertrag im Jahr 2020:
Orchester: 1,5–1,7 Mio. €
Chor: 200–300 T€
Weitere: 700–900 T€
(Leitung, Verwaltung, Technik, Kostüm – Gruppen können in beiden
Theatern unterschiedlich sein)
Gesamt: 2,4 – 2,9 Mio. €
3.) Einsparungen durch Kooperationen und andere Maßnahmen
Die von Metrum prognostizierte Finanzlücke von 5,8 Millionen Euro im Jahr 2020 wäre durch die Dynamisierung der Zuschüsse und die begrenzte Rückkehr zum Flächentarif mit
5,1 bis 5,6 Millionen Euro bereits weitgehend geschlossen.
Die restliche Summe ist durch weitere Maßnahmen zu erbringen, zum Beispiel:
– stärkere Kooperationen in Einzelbereichen (zum Beispiel Sommerbespielung)
– Mietnachlässe bei Spielstätten (insbesondere für die Theatergesellschaft Neubrandenburg/Neustrelitz) bzw. günstigere Konditionen Zusatzveranstaltungen
– Nichtneubesetzung bei Renteneintritten in Einzelfällen
– andere Varianten zur Erbringung des Einsparpotentials an den eigenständigen Standorten

Bildquellen

  • Frauke Fassbinder – Porträt: Bildrechte beim Kreisverband

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