Die taz macht sich Gedanken zu den Thesen Pöbeleien Westerwelles und dessen Verhältnis zu den Grünen. Unter der Überschrift „Klassenbewusst wie die FDP“ heißt es u.a.:
„Die Grünen sind das Pendant zur FDP. Die Künasts und Roths verkaufen ihre Politik nur mild mütterlich, während Westerwelles Rhetorik väterlich scheint, mitleidlos und rau. Die FDP sagt offen, dass Armut Mist ist und man mit ihr nichts zu tun haben will. Die Grünen hingegen würden das offen niemals aussprechen, aber sie leben so.“ Mehr hier…
Dies könte ich jetzt so stehen lassen, wenn mir in den letzten Tagen nicht dauernd durch den Kopf gegangen wäre, dass Westerwelle eigentlich nur konsequent zu Ende denkt, was in Hartz IV angelegt ist: Workfare-Staat, Lohndruck, Bürger 2. Klasse und systematische Entrechtung der Betroffenen. Bereits das SGB II geht von einem Menschenbild aus, das dem Einzelnen unterstellt, sich mit der üppigen Regelleistung auf die faule Haut zu legen.
Feddersen leitet seine These ja von der Feststellung ab, die Grünen (und ihre WählerInnen) eine die Abneigung gegen alles Prollige. Der Bogen, den er aus diesem (zutreffenden) Befund spannt, ist mir aber zu gewagt. Mit prollig umschreibt man einen bestimmten Fundus an Umgangsformen, mit materieller Armut darf das aber nicht gleichgesetzt werden.
Lieber Kay,
vielleicht hat Feddersen auch einfach nur Unrecht, weil Grüne und FDP sich mittlerweile im fast identischen Klientel suhlen. Aber die Frage, wie weit man sich öffnet und wie weit man jeden Mist mitmacht, war wohl auch damals schon die Ursache unserer persönlichen Fehde.
Hartz IV und der hausgemachte Niedriglohnsektor
Ein Ausweg aus dem Dilemma ist politisch allerdings nicht gewollt. Für Union und FDP ist der Mindestlohn sozialromantisches Teufelswerk und auch die SPD erinnert sich nur dann an den Mindestlohn, wenn sie gerade nicht in der Lage ist, ihn auch tatsächlich durchzusetzen. Stattdessen instrumentalisiert man in Berlin lieber das Lohnabstandsgebot, um bei der nun fälligen Reform der Hartz-Gesetze die Höhe der Transferleistungen zu begrenzen. Dies wird jedoch zwangsläufig zu einer Abwärtskorrektur der Löhne im Niedriglohnsektor führen, so dass das Lohnabstandsgebot dann wieder außer Kraft gesetzt wird.
Der Zug Deutschland befindet sich auf einem toten Gleis und fährt auf den Abgrund zu. Anstatt den Zug zu bremsen, legt die Politik jedoch wie im Wahn Kohle nach, als gäbe es kein Morgen.
http://www.heise.de/bin/tp/issue/r4/dl-artikel2.cgi?artikelnr=32068&mode=print
Ein Ausweg aus dem Dilemma ist vielleicht auch einfach nicht möglich, ein Ausweg wäre vielleicht das bedingungslose Bürgergeld, welches aber den Gesetzen des kapitalistischen Marktes zuwiderläuft. Selbst wenn es nur einen Ausweg auf Zeit darstellt, müssen sich die Grünen irgendwann entscheiden, ob sie Kapitalismus wollen oder nicht. Die jetzigen Vorstöße der Grünen deuten immer noch auf Reparatur und nicht auf Wandel hin.
Das Bürgergeld der sieht z.B. so aus FDP:
„Im Bürgergeld werden das Arbeitslosengeld II einschließlich der Leistungen für Wohnen und Heizung, das Sozialgeld, die Grundsicherung im Alter, die Sozialhilfe (ohne Sozialhilfe in besonderen Lebenslagen), der Kinderzuschlag und das Wohngeld zusammengefasst. Die Leistungen werden beim Bürgergeld grundsätzlich pauschaliert gewährt und von einer einzigen Behörde, dem Finanzamt, verwaltet.“
Die Höhe des Bürgergeldes soll pauschal 662 Euro betragen, ausgezahlt vom Finanzamt. Voraussetzung sind die Bedürftigkeit und die Bereitschaft zur Aufnahme einer Arbeit. Bei Ablehnung einer zumutbaren angeboten Arbeit wird das Bürgergeld gekürzt.
Das Bürgergeld der FDP ist zudem ausgerichtet auf die weitere Schaffung eines Niedriglohnsektors.
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31260/1.html
Ronald spricht vom „bedingungslosen“ Bürgergeld, gemeinhin wohl eher als bedingungsloses Grundeinkommen bezeichnet, eben unabhängig von der Bedürftigkeit oder der Bereitschaft zur Aufnahme von Arbeit.
Damit habe ich aber so meine Probleme, da unter den Grundeinkommensmodellen viele sind, die entweder nicht „bedingungslos“ sind oder sich durch unzureichende Leistungen auszeichnen. Aber eine Diskussion über das bGE würde hier wohl zu weit führen.
Wenn mich meine Erinnerungen nicht trügen, haben wir 1995 auf dem Bundeskongress grünnaher Hochschulgruppen über ein alternatives BaFöG Modell (Beringer) und im Rahmen dessen auch über ein bedingungsloses Bürgergeld diskutiert, welches ja das BaFöG erübrigen würde. Die Grünen haben also überhaupt keinen Grund sich auf die Verballhornung des Bürgergeldes durch die FDP zu berufen. Ich habe selbst Anfang 2000er einige Gedanken in Anlehnung an das Ulmer Modell dazu veröffentlicht, die m.E. teilweise auch vom Netzwerk Grundeinkommen aufgegriffen wurden. Meine Kritik am Bürgergeld, dass es kapitalismusimmanent ist und nichts am Gesamtzusammenhang ändert, hängt also nicht damit zusammen, dass es einen Niedriglohnsektor ermöglicht. Diese Begründung ist auch fadenscheinig, denn wenn die Menschen mehr Freiheit haben sich selbst zu verwirklichen, sind sie weniger erpressbar für Dumpinglöhne zu arbeiten. Meine Kritik bezieht sich vielmehr darauf, dass die Finanzierung des Bürgergeldes natürlich nicht mittels Gelddruckdruckmaschinen geschieht, sondern nur durch Besteuerung der kapitalistischen Verwertung, also nur funktioniert so lange die Hauptursache unserer Probleme am Laufen gehalten wird. Im Bewußtsein um diesen Antagonismus sprach ich in meinem Kommentar hier von „Ausweg auf Zeit“, der zwar gerade für KünstlerInnen, StudentInnen und politische AktivistenInnen mehr persönliche Freiraum bieten würde, aber natürlich nicht von der Verantwortung entbinden könnte, den Fluchtweg aus dem Kapitalismus zu finden.
Um es mit den Worten der CrimethInc-Autoren zu sagen „Es gibt nur 2 Wege aus dem Kapitalismus: Die Bahre und die Revolution.“
PS: An dieser Stelle sei noch mal auf den Unterschied zwischen kapitalistischer Vermarktung und kapitalistischer Verwertung hingewiesen (häufig trifft mensch Leute, die das vermischen): Kapitalistische Vermarktung inkludiert immer auch schon die Werbeindustrie und die damit künstlich erzeugten Bedürfnisse, wärend die kapitalistische Verwertung zum Beispiel die Privatisierung von Krankenhäusern oder Studiengebühren erfasst, also alles beinhaltet, wo eine Vermehrung der Möglichkeiten der Gewinnabschöpfung bzw. der Renditemöglichkeiten gegeben ist.
Inzwischen über elf Millionen Arme in Deutschland
Die Armut hat sich in den vergangenen Jahren in Deutschland rasant ausgebreitet:
http://www.pressetext.de/news/100217020/ueber-elf-millionen-deutsche-in-armut/
Dafür hat sich auch der Reichtum rasant ausgebreitet.
Die Aschemittwochkanzlerin (schein)verweigerte sich in Demmin zum wiederholten Male ihrem Duktus. Der Duktus heißt Westerwelle. Beides erklärte Freunde im politischen Geiste, die nur mit einer unterschiedlichen Wortwahl gleiche Ziele verfolgen, die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben.
Wie weit sie damit schon vorangekommen sind kurz und bündig hier:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/165209.unten-links.html?sstr=Unten|links
Auf Wiedersehen Herr Westerwelle:
http://www.youtube.com/watch?v=F8UUFa9Lt4Q