Der Kreistag von Ostvorpommern soll gemäß Verwaltungsvorlage am kommenden Montag die Aufhebung des Gymnasiums Heringsdorf und die Neubildung einer Kooperativen Gesamtschule (KGS) beschließen. Der Heringsdorfer Gemeinderat, zuständig für die ebenfalls notwendige Aufhebung der Regionalen Schule Ahlbeck, ist einverstanden, das gilt im Wesentlichen wohl auch für LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern.
Die Mindestgröße zur Bildung von gymnasialen Eingangsklassen wurde auf der Insel in den vergangenen Jahren bereits zweimal nicht erreicht. Eine dritte Ausnahmegenehmigung soll es nicht mehr geben. Zwar bin ich persönlich der Auffassung, das Schulgesetz wird hier zu restriktiv angewandt, da eine ersatzlose Aufhebung der Schule für SchülerInnen aus einigen Orten immer für unzumutbare Schulweglängen nach Anklam oder Wolgast führen würde, so dass die ausnahmsweise niedrigere Mindestgröße generell maßgebend wäre. Da aber auch eine Gesamtschullösung ermöglicht, weiterhin in Heringsdorf ein Abitur abzulegen, ist gegen sie auch im Hinblick auf eine bessere Planungssicherheit grundsätzlich nichts einzuwenden.
Warum also der Aufwand hier?
Das Schulgesetz Meckenburg-Vorpommerns sieht zwei verschiedene Schulformen vor, die beide die Bezeichnung „Gesamtschule“ tragen. In der Kooperativen Gesamtschule findet weiterhin eine generelle Trennung der SchülerInnen nach Bildungsgängen (Mittlere Reife oder Abitur) nach der sechsten Klasse statt. Das Trennungsprinzip wird also im Grundsatz beibehalten, nur gibt man den beiden Bildungsgängen ein gemeinsames Dach. Der Wechsel zwischen den Bildungsgängen zum Schuljahresende, der dann einem Wechsel in eine Parallelklasse gleichkommt, ist, bei entsprechender Beurteilung, zumindest unbürokratisch. Da ein gymnasialer Bildungsgang so auch bei geringen Anmeldezahlen angeboten werden kann, ist die KGS im ländlichen Raum inzwischen die bevorzugte Lösung zur Abwendung von Schulschließungen. Zur Zeit gibt es eine KGS oder eine verbundene RS/Gym in Dorf Mecklenburg, Kühlungsborn, Laage, Malchow, Friedland, Altentreptow, Stavenhagen und Barth.
Davon zu unterscheiden ist die Integrierte Gesamtschule (IGS). Hier geht der gemeinsame Unterricht bis zur neunten Klasse, erst danach muss man sich entscheiden, ob man in eine zur Mittleren Reife führende Abschlussklasse wechselt oder das Abitur anstrebt. Eine Differenzierung unterschiedlicher Begabungsprofile ist auf diese Weise besser zu erreichen als mit einer starren Trennung. Schließlich können Matheluschen immer noch sprachbegabt sein. Oder umgekehrt. Und Begabungen, die außerhalb der Kernfächer liegen, gibt’s natürlich auch jede Menge. Die durchaus beliebten Schulen in freier Trägerschaft verfolgen überwiegend ebenfalls integrative Lernkonzepte, genauso wie viele Länder, deren Schulsystem bei den Vergleichen der vergangenen Jahre besser abgeschnitten hat als die 16 deutschen. Integrierte Gesamtschulen in staatlicher Trägerschaft finden sich in Mecklenburg-Vorpommern nur in den kreisfreien Städten sowie in Neustrelitz, also dort, wo sich das nächste Gymnasium am gleichen Ort befindet. Oft fehlt daher auch die gymnasiale Oberstufe, wie etwa in der Greifswalder Fischerschule.
Dennoch gibt es in Heringsdorf offenbar Vorbehalte und Befürchtungen, SchülerInnen (und besonders deren Eltern) würden die KGS meiden, und stattdessen die Gymnasien Anklam oder Wolgast bevorzugen. Wenn schon der Unterricht unter einem Dach und die bloße Vokabel „Gesamtschule“ eine Hürde darstellt, dann ist der Weg zu integrativen Schulkonzepten weit. Nicht nur in Hamburg gibt es also Probleme, den Wunsch nach längerem gemeinsamen Lernen umzusetzen. Die besondere Schwierigkeit liegt nun darin, dass die Befürworter des starr mehrgliedrigen Systems wenig nachvollziehbare Argumente anzubieten haben. Statt dessen muss man auf eher irrationale Befürchtungen eingehen, und besonders mächtig ist der Mythos des deutschen Gymnasiums.
Da es ja ganz offensichtlich auch um Namen geht: Die sollte man immer erst zum Schluss festlegen. Das derzeitige Modell in Mecklenburg-Vorpommern mit einem vergleichsweise ungeordneten und unsystematischen Nach- und Nebeneinander unterschiedlicher staatlicher Schulformen im Sekundarbereich, verbunden mit freier Schulwahl und gleichzeitigen Restriktionen im Bereich der Schülerbeförderung taugt aus meiner Sicht jedenfalls nicht viel. Eine gewisse Grundskepsis gegenüber grundlegenden Veränderungen ist kein Übel an sich. Um sie zu überwinden, ist im Vorfeld der Veränderungen allerdings viel Kommunikation notwendig. Und da man jetzt schon erkennen kann, dass zur Überwindung der Mehrgliedrigkeit ein langer Atem und viel Kommunikation notwendig sein werden, sollte man zusätzlich zur grundsätzlichen Forderung nach längerem gemeinsamen Lernen auch überlegen, wie man eine Situation vergleichbar mit der derzeitigen in Hamburg, von vornherein vermeiden kann.
Update: Passend dazu beschreibt ein Beitrag der Sendung „Panorama“, was in Hamburg hinter dem Kampf um das Gymnasium wirklich steht. Da Name und Mythos ja offenbar wirklich von hoher Bedeutung sind, sollten wir vielleicht für ein „Gymnasium für alle“ eintreten.
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