Wahlkreiskommission – na und?

Dass die Bundesregierung in Wahlrechtsfragen alle Beiträge von Leuten, die sich damit auskennen, gerne ignoriert, ist spätestens seit der peinlichen Novelle des Bundestagswahlrechts bekannt. Da stellen sich die Union und diese anderen – wie hießen die nochmal? – energisch gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und wollen nicht nur die Überhangmandate, sondern auch das negative Stimmgewicht unbedingt beibehalten.
Wem schon das komische Verfassungsgericht unwichtig erscheint, der überrascht nicht, wenn er sich auch nicht um so etwas Lästiges wie eine Wahlkreiskommission schert. Die gibt es eigens dafür, um die Einteilung der 299 Bundestagswahlkreise auf die regionalen Veränderungen der Bevölkerungszahlen in einem nachvollziehbaren Verfahren anpassen zu können. Ihre Vorschläge wurden von der Bundesregierung überwiegend nicht übernommen. Der in der kommenden Woche in erster Lesung zu behandelnde Gesetzentwurf „fand“ statt dessen in den meisten Fällen andere „Lösungen“. Stets sind diese im Sinne der gesetzlichen Vorgeben schlechter als die Vorschläge der Wahlkreiskommission.
Betroffen ist auch Mecklenburg-Vorpommern. aufgrund des anhaltenden Bevölkerungsrückganges verliert das Land künftig einen Bundestagswahlkreis, so dass aus bisher sieben nun sechs Wahlkreise zu machen sind. Dass das aus rechnerischen Gründen so sein muss, wird von niemandem in Frage gestellt.
Schon der Bericht der Wahlkreiskommission verschweigt einige Varianten, die zuvor den im Bundestag vertretenen Landesparteien zur Beurteilung vorgelegt worden waren. Immerhin wird die Variante bevorzugt, die unter den Landesparteien insgesamt offenbar die mehrheitsfähigste war. Sie orientierte sich bereits in großen Teilen an den neuen Kreisgrenzen. Für die Mecklenburgische Seenplatte und Vorpommern-Greifswald sollte der Wahlkreis mit dem Landkreis identisch sein. Die Stadt Rostock hätte ebenso wie die Landkreise Vorpommern-Rügen und Ludwigslust-Parchim und eine aus bereits Schwerin und Nordwestmecklenburg gebildete Einheit noch jeweils einen Teil des Landkreises Rostock hinzubekommen, der damit als einziger zerschnitten worden wäre. Diese Vierteilung mit einer sehr schlangenartigen Gestalt des Wahlkreises 14 wäre dann auch der einzige nennenswerte Nachteil gewesen. Als Vorteil standen erhebliche Vorteile in punkto Übersicht und Nachvollziehbarkeit für die Wähler_innen sowie in der Organisation.
Das machte die Regierungsparteien im Bund offenbar misstrauisch.
Sie entschieden sich für einen anderen Entwurf, den der CDU-Landesgruppenvorsitzende bereits 2010 zu begründen versuchte. Fast sämtliche angeführten Gründe, ausgenommen eben die oben erwähnte Vierteilung des Landkreises Rostock, sind dabei nicht stichhaltig.
Zunächst zur Beschreibung: Im Westen soll das meiste so ähnlich bleiben wie bisher, den Verlust des Wahlkreises muss der östliche Landesteil fast allein auffangen, so dass er im Durchschnitt wesentlich größere und tendenziell noch bürger_innenfernere Wahlkreise erhält. Einzig der Landkreis Vorpommern-Rügen bleibt „ganz“, alle anderen Kreise werden zerschnitten.
Seinerzeit galt noch das Argument, eine Orientierung an den neuen Kreisgrenzen sei problematisch, solange diese noch nicht beschlossen sind. Es war richtig, aus diesen Erwägungen bis zur endgültigen Bestätigung der Gebietsreform zu warten. Nun aber gelten die neuen Kreisgrenzen und sie sind es, an denen sich laut Bundeswahlgesetz bevorzugt zu orientieren ist. Der Erhalt gewachsener Strukturen zieht ebenfalls nicht. Selbst wenn wir unterstellen, es gebe so etwas, so gälte das doch nur für denjenigen Teil des Landes, in denen die Strukturen unangetastet bleiben. Und das soll weniger als die Hälfte sein. Wer aus sieben Wahlkreisen sechs machen möchte, kommt um größere Verschiebungen eben nicht drumherum. Geradezu lächerlich ist der Verweis darauf, dass Schwerin und Ludwigslust seit einigen Jahren in demselben Wahlkreis seine und das doch so bleiben müsse. Mit demselben Argument müsste man den vorliegenden Entwurf allein deswegen verwerfen, weil jetzt zwischen Greifswald und Wolgast – immerhin seit 1990 bis jetzt immer in demselben Bundestagswahlkreis – eine Grenze eingezogen werden soll.
Den Vogel schießt allerdings die Behauptung ab, die Größenverhältnisse der Wahlkreise seien ausgewogen. Der neue Wahlkreis 16 erstreckt sich bald womöglich zwischen den Eckpunkten Neubrandenburg, Loitz, Heringsdorf und Penkun. Unausgewogener geht es nicht mehr. Gerade ein Gebiet, das angesichts der unübersehbaren Probleme eine vernünftige Vertretung im Bundestag wirklich nötig hätte, kommt dann besonders schlecht weg.
Das Gegenstück dazu ist der für Mecklenburg-Vorpommern eher kompakte Wahlkreis 15, wo Vorpommern-Rügen noch die Stadt Greifswald und das Amt Landhagen dazubekommen soll. Dieser Wahlkreis wäre zugleich der einwohnerstärkste im Land. Das Interesse dieses Zuschnitts ist wiederum so offensichtlich erkennbar, dass es nur noch verdrießlich ist. Der mutmaßliche Kanzlerinnenbonus soll so weit wirken wie möglich und die Wege dabei dennoch überschaubar sein. Deswegen erhält der Wahlkreis dann auch als einziger zwei größere Städte.
Der Umstand, dass Stralsund und Greifswald sich in demselben Wahlkreis wiederfinden, ist dabei als solches das geringste Problem, wäre das Gesamtbild nur ansonsten nicht so schief.
Das Problem bei dieser Regierung ist und bleibt, dass sie versucht, durch Gestaltung des Wahlrechts Vorteile für sich herauszuschlagen. Und deswegen gehört nicht nur das weiterhin bestehende negative Stimmgewicht kassiert, sondern die Wahlkreiseinteilung gleich mit.

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