Am kommenden Sonnabend werden wir BÜNDNISGRÜNE in Mecklenburg-Vorpommern unsere Landesliste zur Bundestagswahl 2013 wählen.
Aller Voraussicht nach wird diese Liste zum dritten Mal hintereinander von einem Mann angeführt werden. Das Frauenstatut unserer Partei, Bestandteil der Satzungen von Bundes- und Landesverband, sieht vor, dass ungerade Listenplätze an Frauen zu vergeben sind.
Abweichungen davon sind praktisch zwar möglich, unterliegen aber bestimmten Voraussetzungen.
Gleichwohl gab es im Vorfeld keine offene innerparteiliche Debatte darüber, wie die Landesliste aussehen soll und welche Menschen für aussichtsreiche oder weitere Listenplätze in Frage kommen. Ein diskursiver, lösungsorientierter Ansatz zum Thema „Listenaufstellung“ ist nicht zu erkennen. Wer interessiert ist und wer die geeigneten Gesprächspartner_innen kennt, gelangt zwar bei uns an fast alle notwendigen Informationen. Diese Wege, an alle Informationen heranzukommen, stehen aber nicht allen gleichermaßen offen. Eine Diskussion muss hier aber so stattfinden, dass alle die Chance haben, gleich gut informiert zu sein.
Wenn wir zum dritten Mal in Folge von einem elementaren Grundsatz unserer Partei abweichen, dann müssen wir das wenigstens so begründen, dass alle diesen Schritt nachvollziehen können. Eine solche Begründung sehe ich bis jetzt nicht.
Ich nehme die Person des voraussichtlichen Spitzenkandidaten von meiner Betrachtung dabei vollkommen aus. Mir geht es nicht darum, ob Harald Terpe ein guter Bundestagsabgeordneter war oder ist. Mir geht es auch nicht um die Frage, wie seine Themen in einer künftigen grünen Fraktion vertreten sein werden.
Mir geht es um unseren Landesverband und wie wir unsere Entscheidungen begründen wollen.
Vor den Wahlen 2005 und 2009 interessierte sich keine der kompetenten Frauen unseres Landesverbandes ernsthaft für den Spitzenplatz der Bundestagsliste. Dazu galt bei beiden Wahlen selbst ein Sitz als ausgesprochen unsicher, so dass die Überlegung vor allem 2005 auch war, einen Kandidaten zu wählen, der in der Lage ist, die möglicherweise entscheidenden 0,2 Prozentpunkte über seine Person in seinem Nahbereich für uns zu gewinnen. Ob es letztlich daran lag, dass es aufging, ist schwer zu sagen.
2013 geht es jedenfalls nicht darum, ob wir einen Sitz bekommen. Den gibt es je nach Umfang von Überhang und Ausgleich ab 3,7–3,9 Prozent landesweit, dafür bräuchten wir derzeit wohl keinen Wahlkampf zu machen. Die aktuell vorhergesagten bundesweiten 14–15 Prozent enthalten bei den üblichen Verhältnissen ein MV-Ergebnis von ca. 6,5–7 Prozent. Knapp wird es also nicht.
Zudem gibt es inzwischen, anders als bei den beiden vergangenen Wahlen, bei uns kompetente Frauen, denen wir die Ausübung eines Bundestagsmandats zutrauen können, und die durchaus Interesse hätten.
Oder besser: Gehabt hätten. Was wir im letzten halben Jahr erlebt haben, lässt sich ungefähr so beschreiben, dass kompetente und interessierte Frauen auf verschiedene Weise und von verschiedenen Akteur_innen vergrault oder doch zumindest von einer Kandidatur um Platz 1 abgehalten wurden. Eine bestimmte Gruppe im Landesverband drohte gewissermaßen, bei Nichtwahl ihres bevorzugten Kandidaten sich gar nicht am Wahlkampf zu beteiligen. Interessanterweise kam so etwas hauptsächlich von solchen Menschen, die man kaum zuerst mit progressiver grüner Drogenpolitik verbinden würde.
Frauen, die es wagen würden, doch auf Platz 1 zu kandidieren, wurde signalisiert, dass sie im Zweifel keine Mehrheit erhielten, damit der Platz danach doch für einen Mann „freigegeben“ werden könnte. Das Verfahren „Platz freigeben“ taucht im Frauenstatut übrigens nicht auf, das ist eine Erfindung aus Mecklenburg-Vorpommern.
Die Grüne Jugend wurde zwar gefragt, wie sie „uns“ denn bitteschön im Wahlkampf unterstützen möchte, gleichzeitig wurde aber auf Angebote, ihre durchaus beachtlichen Talente zu fördern, erkennbar verzichtet.
Auf die letzte Landesvorstandswahl wiederum wurde bekanntlich durch eine unserer Partei unwürdige „Bekleidungs- und Anti-Piercing-Richtlinie“ aus der Landesgeschäftsstelle entscheidend Einfluss genommen. Bis heute habe ich von den Verantwortlichen dazu keine Reaktion gelesen.
Es kann gleichwohl gute Gründe geben, auf Listenplatz 1 erneut einen Mann zu wählen. Nur habe ich bis jetzt keine gehört oder gelesen.
Gleichzeitig bin ich wahrscheinlich nicht der Einzige, der Unbehagen über die beschriebenen Wege der Entscheidungsfindung empfindet. Ich finde, auf unserer Liste sollten sich alle Regionen, Strömungen und Altersgruppen in der Partei angemessen wiederfinden. Das Interesse wird anscheinend nicht von allen geteilt. Dabei ist offensichtlich, dass größere Gruppen, die sich übergangen fühlen, unsere Schlagkraft und Kampagnenfähigkeit im Wahlkampf schwächen können, vor allem durch Passivität oder auch durch erkennbare Distanz zum örtlichen Personal. Alle, die in der oben beschriebenen Weise eine bestimmte Gestalt der Liste begünstigen wollen, müssen daher zum Beispiel erklären, was sie den ländlichen Räumen unseres Landes anbieten können und wie sie etwa der Grünen Jugend Motivationsanreize bieten wollen. Das ist auch Teil vorausschauender Personalentwicklung und das vermisse ich.
Die Grüne Jugend sah von einer eigenen Kandidatur für die Liste ab. So wie ich es verstehe, möchte sie sich nicht mit einer Liste gemein machen, mit der sie sich nicht identifiziert, wobei der Umgang mit dem Frauenstatut eine gewichtige Rolle spielt. Wer diese Ansage ignoriert, zeigt, dass ihr und ihm die durch die GJ repräsentierte Generation herzlich egal ist.
So wie es sich im Moment abzeichnet, wird am Ende eine Liste stehen, die, vorsichtig ausgedrückt, leicht überaltert daherkommen wird.
Aber es kann immer noch gute Gründe geben, Platz 1 mit einem Mann zu besetzen.
Der Umstand, dass keine Frauen in Sicht seien, ist es definitiv nicht.
Dass es mit dem einen Sitz knapp werden könnte, ist ebenfalls eine Argumentation, mit der sich die, die sie verwenden, absolut lächerlich machen.
Eine für uns und für die Öffentlichkeit nachvollziehbare Begründung steht also noch aus.
Wer übrigens der Auffassung ist, die vorhandenen kompetenten Frauen seien nur nicht die richtigen, muss sich fragen, was sie oder er denn in den letzten Jahren in punkto innerparteilicher Frauenförderung gemacht hat. Gliederungen, in denen dieser Aspekt vernachlässigt wurde, sollten sich mit der Forderung, die Liste jetzt doch wieder mit einem Mann beginnen lassen, zurückhalten. Besser wäre es, mal mit der Frauenförderung zu beginnen. Wer nicht weiß, wie das geht, fragt Leute, die sich damit auskennen, dafür muss auch mal der Tellerrand namens Mecklenburg-Vorpommern überschritten werden. Männer können im Übrigen oft zur Frauenförderung beitragen, indem sie sich selbst einfach mal zurücknehmen.
Und wer glaubt, den Mann auf Platz 1 könnten wir durch möglichst viele Frauen auf den nachfolgenden aussichtslosen Plätzen „ausgleichen“, hat auch nicht verstanden, worum es geht.
Der Höhepunkt der Peinlichkeiten ist allerdings erreicht, wenn jetzt ein weiterer Mann, der seine eigenen Möglichkeiten offenbar nicht realistisch einschätzen kann, auf Listenplatz 1 kandidiert und das allen Ernstes damit begründet, so sollten Frauen zur Kandidatur ermutigt werden.
Ich habe oben beschrieben, weswegen es wahrscheinlich keine Kandidatinnen für Platz 1 geben wird. Das hat weder mit Bereitschaft noch mit Kompetenz zu tun. Indem wir Frauen mit Kamikazeaktionen unter Druck setzen, erreichen wir allenfalls das Gegenteil von dem, was wir zu erreichen vorgeben. Diese jüngste Kandidatur ist ein schlechter Witz von jemandem, der das Wesen der Frauenförderung noch weniger verstanden zu haben scheint als alle anderen von uns.
Persönlich werde ich bei der kommenden LDK den beschriebenen Problemen Rechnung tragen.
An allen Abstimmungen und Wahlen, die mögliche oder tatsächliche Kandidaturen von Männern auf Frauen zustehenden Plätzen zum Thema haben, werde ich ungeachtet meines Delegiertenmandates nicht teilnehmen. Ich bin der Auffassung, dass diese Entscheidung, die einen zentralen Punkt des grünen Frauenstatuts berührt, ohne jede männliche Sichtweise gefällt werden soll. Das ist für mich Voraussetzung, um das Ergebnis, wie immer es lauten sollte, glaubwürdig vertreten zu können.
Ich bin im Übrigen der Auffassung, dass Männer keine Kandidaturen für ungerade Listenplätze einreichen sollten. Es dennoch zu tun drückt mangelnden Respekt gegenüber dem Frauenstatut und damit sowohl gegenüber der Partei an sich als auch gegenüber ihren Frauen aus.
Ich habe diesen Text vor der LDK verfasst, weil er für eine Persönliche Erklärung zu lang wäre und ich außerdem möchte, dass alle vorher wissen, worum es mir geht.
Der Text darf gerne in grünen Kreisen weiterverbreitet werden. Davon abweichend ist von einer Verbreitung in der sog. „Debatten-Liste“ unseres LV ausdrücklich abzusehen.