Bertelsmann und der Sozialneid

Es dürfen mal wieder die in „spätrömischer Dekadenz“ lebenden ALG II-Berechtigten (fälschlicherweise Hartz IV-Empfänger genannt) beneidet werden. Während die Süddeutsche titelt „Hohe Mieten drängen Familien in Armut„, heißt es bei der OZ ganz im Sinne der beabsichtigten Debatte“Studie: Nach Abzug der Miete sind arme Familien unter Hartz-IV„. Und ruckzuck ist der von Bertelsmann gewollte Bezug hergestellt: Vielen, die im Schweiße ihres Angesichts täglich arbeiten gehen, geht es schlechter als den Sozialschmarotzern.

Zwar ist die neue Bertelsmann-Studie durchaus differenzierter, aber die oben zitierten Schlagzeilen machen deutlich, wie das Ergebnis ankommt. Dabei wird, leider auch von der Süddeutschen, gerne etwas übersehen. Erstens gibt es viele ALG II-Berechtigte, die wegen angeblich nicht angemessener Mietkosten einen Teil davon aus ihrem Regelbedarf bestreiten müssen und demgemäß auch nicht die monatlichen Bezüge zur Verfügung haben, die in den Artikeln als Hartz-IV-Satz für eine vierköpfige Familie angeben sind.

Zweitens: Es müssten die Mieten der Familien, die in der Studie untersucht werden, mit den Angemessenheitsgrenzen beim ALG II verglichen werden. Dann würde sich unter Umständen ergeben, dass viele dieser Familien Anspruch auf ergänzendes ALG II hätten, sofern die Mieten angemessen sind. Sind die  bezahlten Mieten dagegen deutlich über dem ALG II-Niveau, lassen sich diese Familien auch nicht mit ALG II-Berechtigten vergleichen. Ich glaube auch kaum, dass viele Familien (eher keine) zu den von den Jobcentern diktierten Bedingungen wohnen wollten.

Dass die Studie die Wohnungsproblematik und die zu hohen Mieten benennt, ist natürlich zu begrüßen. Und eigentlich ist auch der Titel der Studie „Armut nicht nur eine Frage von Hartz IV“ völlig in Ordnung. Schade, was daraus gemacht wird.

 

3 Kommentare bei „Bertelsmann und der Sozialneid“

  1. Während die Süddeutsche titelt “Hohe Mieten drängen Familien in Armut“, heißt es bei der OZ ganz im Sinne der beabsichtigten Debatte”Studie: Nach Abzug der Miete sind arme Familien unter Hartz-IV“. Und ruckzuck ist der von Bertelsmann gewollte Bezug hergestellt

    Gut, dass der Sache hier nachgegangen wird. Andererseits dürfte sich kaum jemand wundern, wie solche Ergebnisse in der OZ ankommen. Seit Jahren plappert die OZ kenntnisfrei und grundsätzlich gegen die Betroffenen gerichtet nach.

  2. nur mal so zum Vergleich:

    http://frei-blog.blogspot.de/

    „Ein Eurofighter kostet etwa 86 Millionen pro Stück, ohne Folgekosten.
    Langzeitarbeitslose stehen bundesweit bei den tafeln Schlange, um sich ernähren (?) zu können.
    Wir wissen dies und sind der meinung, dass wir nichts ändern können. Wir nehmen es hin, dass jeglicher Protest mit staatlicher Gewalt beantwortet wird.“

    oder

    Neues von Familie Fischer aus…
    Armut macht frei…

    Volkers Blog…..sehr informativ

  3. Am 22. Juli erfreute die Bertelsmann Stiftung die Welt mal wieder mit einer Studie, die von zahlreichen Medien begeistert aufgenommen wurde. Die mit der Studie beauftragte empirica AG kam darin zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass viele nur durchschnittlich verdienende Familien durch das Steigen der Mieten am Ende weniger Geld zur Verfügung hätten als „Hartz-IV-Familien“. Dumm nur, dass die Zahlen nicht stimmen.

    http://www.l-iz.de/Politik/Kassensturz/2013/07/Eine-Bertelsmann-Studie-fuer-die-Tonne-50020.html

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