Tafelunwesen: „Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit…

…und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.“ (Artikel 22 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948).

Stefan Selke, Soziologie-Professor an der Uni Furtwangen und einer der bekanntesten Kritiker der Tafeln in Deutschland, hat ein Buch geschrieben. „Schamland – Die Armut mitten unter uns“ heißt es, hat 288 Seiten und ist beim Econ-Verlag für 18 Euro zu haben.

Ich habe es noch nicht gelesen. Die Rezension von Christine Wicht auf den NachDenkSeiten mit Schilderungen dessen, was Selke beschreibt, reicht aber schon, um einen guten Eindruck zu gewinnen, „wie durch Tafeln und ähnliche Angebote die Abspaltung der Gesellschaft in Arm und Reich fortgeschrieben wird„. Zwei kurze Zitate aus der Rezension mögen zum Lesen des Textes (und des Buches) anregen:

Wenig Einfühlungsvermögen zeige z.B. die Idee eine Werbeagentur, die im Auftrag der Tafel leere Wasserflaschen in Frankfurter Mülltonnen versteckte, um Tafelnutzer zu erreichen. Die Flaschen waren mit Tafelwerbung etikettiert und enthielten folgendem Text: „Gegen Abgabe dieser Flasche erhalten Sie eine Tüte mit Lebensmitteln“ (S. 210).

Für Selke ist die HartzIV-Ökonomie ein Hilfssystem für Millionen, eine Parallelwirtschaft, auf die breite Bevölkerungsgruppen dauerhaft angewiesen sind. Es sei der zivilgesellschaftliche Versuch, die seit Jahren nicht mehr eingelöste Teilhabegarantie des Staates zu kompensieren (S. 200). Tafeln ersetzten hoheitliche Leistungen der Daseinsvorsorge oder überlagerten diese zumindest teilweise. Tafeln linderten zwar  Armut, aber sie bekämpften diese nicht.

Der komplette Text auf den NachDenkSeiten: Rezension: Stefan Selke, Schamland – Sozialpolitik nach Gutsherrenart

Es wird Zeit, dass das Tafelunwesen nicht nur durch Jubelartikel zu irgendwelchen Jubiläen oder von Besuchen der Landrätin „gewürdigt“ wird. Gerade in unserer Gegend scheint die Hartz IV-Ökonomie, wie Selke sie nennt, zu gedeihen. Egal ob Tafeln, Sozialkaufhäuser, Suppenküchen oder Beschäftigungsgesellschaften, alle tragen letztlich dazu bei, dass ein nichtstaatliches Sozialsystem etabliert wird.

 

3 Kommentare bei „Tafelunwesen: „Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit…“

  1. Egal ob Tafeln, Sozialkaufhäuser, Suppenküchen oder Beschäftigungsgesellschaften, alle tragen letztlich dazu bei, dass ein nichtstaatliches Sozialsystem etabliert wird.

    Tafeln, Sozialkaufhäuser, Suppenküchen oder Beschäftigungsgesellschaften waren die Folge. Im Anfang war das Gesetz zur Massenverarmung. Und wer hats erfunden? Richtig, Rot/Grün. Die Regierungsparteien danach haben die Verarmung fortgesetzt. Mit Ausnahme der Linken hat keine Bundestagspartei die Absicht, die Hartzgesetze abzuschaffen.

  2. Die Ernährungsberater

    Während die Lafers, Lichters und Schuhbecks sich durch das Fernsehprogramm brutzeln, erklären wie man Garnelen nicht zu trocken und Wachteln schön knusprig brät, sitzen Menschen vor dem Fernsehapparat, die an Garnelen oder Wachteln gar nicht denken dürfen. Sie sind in einem engen Budget gefangen, in dem Krustentiere aus den Weltmeeren keinen Platz finden, können zwar zusehen, wie sie mit dem Produkt umgingen, hätten sie die finanziellen Mittel dazu, aber in die Wirklichkeit umsetzen werden sie ihr angeglotztes Wissen wohl nie. Landauf landab wird gebacken, gebraten, gerührt – jeder TV-Sender hat mindestens ein Sendeformat mit dem Schwerpunkt „Kochen“. Mal kochen Starköche, mal blutige Amateure, die mit den Produkten despektierlich umgehen, sie vergewaltigen und misshandeln, aber trotz dieses Umstandes dennoch beste Qualität verwursten dürfen – hochwertige Qualität für alle, selbst für die Küchenidioten, nur für solche nicht, die mittellos sind

    Aber auch denen wird geholfen. Man zeigt ihnen auf, wie sie mit „Tafel“-Produkten und allerlei drittklassiger Ware ihren knapp bemessenen Finanzalltag bändigen können und dennoch nicht hungern müssen. Thilo Sarrazin war da der Vordenker, hat einen Speiseplan entworfen, bei dem es zwar an allerlei mangelte – Getränke berechnete er gar nicht -, der es aber möglichst gut meinte mit den Beziehern von Arbeitslosengeld II.

    http://ad-sinistram.blogspot.de/2008/12/ernhrungsberater.html

  3. […] Bedauern schwingt mit. Sollte ernsthaft etwas anderes erwartet worden sein, nenne ich das naiv. An anderer Stelle wies ich bereits auf das Tafelunwesen hin und berichtete über eine Rezension eines Buches von […]

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