Vorgestern schrieben ich und andere noch, dass viele zusätzliche, wiederkehrende Bedarfe beim ALG II, wie sie das Bundesverfassungsgericht bei Härtefällen fordert, gegen die Behörden sicher nicht ohne Klagen durchzusetzen sein werden. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) geht jetzt aber noch einen Schritt weiter und zeigt ein Verfassungsverständnis, das sich offen gegen unser höchstes Gericht stellt. Doch im Einzelnen:
Aus dem Urteil des BVerfG vom 09.02.10:
„… Ein zusätzlicher Bedarf ist vor allem bei schulpflichtigen Kindern zu erwarten. Notwendige Aufwendungen zur Erfüllung schulischer Pflichten gehören zu ihrem existentiellen Bedarf. Ohne Deckung dieser Kosten droht hilfebedürftigen Kindern der Ausschluss von Lebenschancen, weil sie ohne den Erwerb der notwendigen Schulmaterialien, wie Schulbücher, Schulhefte oder Taschenrechner, die Schule nicht erfolgreich besuchen können. Bei schulpflichtigen Kindern, deren Eltern Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch beziehen, besteht die Gefahr, dass ohne hinreichende staatliche Leistungen ihre Möglichkeiten eingeschränkt werden, später ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten zu können. Dies ist mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG nicht vereinbar. …“
Und nun aus der Geschäftsanweisung der BA vom 17.02.10:
„… In den folgenden Fallgestaltungen besteht kein zu übernehmender Sonderbedarf i. S. des Urteils:
(…)
Schulmaterialien und Schulverpflegung
Diese Kosten sind in der Regelleistung enthalten. Die Schulmaterialien sind zusätzlich über die Leistung für die Schule gemäß § 24a SGB II abgedeckt. Die Grundausstattung, die zu Beginn eines Schuljahres anfällt, sollte grundsätzlich über diese Leistung bestreitbar sein; weitere Schulmaterialien sind aus der Regelleistung zu finanzieren. …“
Jetzt können wir nur darauf warten, ob hiesige ARGEn diese offen verfassungswidrige Geschäftsanweisung umsetzen. Ein Skandal ist es allemal, wie die BA versucht, ALG II-Berechtigte um ihre Rechte zu bringen. Die Empfehlung, jede einzelne Entscheidung der ARGEn zu hinterfragen und ggf. zu klagen, ist in jedem Fall berechtigt.
„Ein Skandal ist es allemal, wie die BA versucht, ALG II-Berechtigte um ihre Rechte zu bringen.“
Im Grunde genommen tat sie das seit fünf Jahren, indem sie eben diesen Sonderbedarf wegen verwassungswidrigen Gesetzes verweigern musste. Doch ich habe nie davon gehört, dass Arge-Vertreter im Interesse ihrer sog. Kunden gefordert hätten, das die Menschenwürde verletzende Gesetz verfassungskonform zu ändern. Warum nicht? – eine Frage, die kein Medienvertreter bisher stellte. Ich glaube, die haben einfach zu viel mit Arge-In-Schutz-Nehmen zu tun.
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