Natursteinpflasterstrasse in Jeeser in Gefahr *Update* *Update*

Aus Jeeser, Gemeinde Sundhagen, erreicht uns folgener Beitrag von Nina Seifert über Straßenbauförderung ohne Sinn und Verstand:

In Mecklenburg-Vorpommern ist die Landschaft vielfach durch alte Pflasterstraßen geprägt. Sie sind der Ausdruck einer Jahrhunderte alten Handwerkskunst – dem Pflastern.
Viele dieser Straßen sind noch gut erhalten und verlangen höchsten Respekt gegenüber dem handwerklichen Können der Steinschläger und Pflasterer.
Die große Vielfalt an Natursteinpflasterstraßen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ist in Deutschland einzigartig. Dieser prägende Bestandteil unserer Kulturlandschaft darf nicht leichtfertig verspielt werden.
Und dennoch: Jedes Jahr werden in Mecklenburg-Vorpommern viele Kilometer ländlicher Wege ausgebaut. Pflasterstrassen fallen dem Ausbau mit Asphalt- und Betonspurbahnen zum Opfer.
So soll auch nach Ansicht der Gemeindevertretung Sundhagen in Kürze die Natursteinpflasterstrasse in Jeeser in eine Asphaltstrasse umgewandelt werden. Völlig an dem Wunsch des Großteils der Anwohner in Jeeser und im nahegelegenen Mannhagen vorbei, die seit Sommer 2010 versuchen, ihre Strasse in ihrer jetzigen Form zu erhalten.
Angelegt vor über 50 Jahren hat die Strasse zwar keinen historisch begründbaren Bestandsschutz, ist aber prägend für das Dorfbild und den Anwohnern ans Herz gewachsen. Gut einen Kilometer führt die schmale Strasse durch die Felder zwischen Kirchdorf und Jeeser und mündet schliesslich in eine wenig befahrene einspurige Asphaltstrasse Richtung Reinkenhagen.
Gründe für die Notwendigkeit eines Neubaus konnten der 2010 ins Leben gerufenen Bürgerinitiative zum Erhalt der Strasse von Seiten der Gemeindevertretung nicht genannt werden. Der Bürgermeister beruft sich auf einen Beschluss der damaligen Gemeinde Kirchdorf, der Anfang der 1990er Jahre gefasst worden sein soll. Dieser Beschluss schlummert zwar nach Aussage des Bauamts Miltzow irgendwo im Archiv, konnte aber bislang trotz mehrfacher Nachfrage der BI nicht vorgelegt werden.
Obwohl der Gemeindevertretung im vergangenen Sommer die Unterschriften fast aller Anwohner für einen Erhalt der Strasse vorgelegt worden waren und in einem Bürgergespräch das Anliegen klar formuliert wurde, stimmte der Hauptausschuss auf einer eilig einberufenen Sitzung einstimmig für einen Neubau. Die Zeit drängte, da das Landesstrassenbauamt in Stralsund von dem Anliegen der Anwohner in Kenntnis gesetzt worden war und die Gemeindevertretung um Aufklärung der Sachlage ersucht hatte. Schliesslich ging es um die Bewilligung von Fördergeldern, ohne die der Strassenneubau keinesfalls von der ohnehin schon klammen Gemeinde geschultert werden könnte.
Die Bürgerinitiative rieb sich die Augen, schliesslich hatte der Bürgermeister verbindlich zugesichert, dass die Wünsche der Anwohner berücksichtigt würden.
Der Neubau sieht eine Verbreiterung der Strasse von 3,50 auf 4,75 m vor. Kurven sollen für einen besseren bzw. schnelleren Verkehrsfluss noch breiter angelegt werden. Gerade für die Anwohner mit kleinen Kindern ein Alptraum, denn bislang stellt das Natursteinpflaster eine natürliche Verkehrsberuhigung dar. Ein extra Streifen für Fußgänger existiert bislang nicht und ist auch nicht in der Planung vorgesehen. Auch eine anderweitige Verkehrsberuhigung ist laut Gemeindevertretung nicht möglich, so dass die Anwohner wohl der Aussage eines Vertreters des Bauamts in Zukunft Folge leisten müssen: „Kinder sind auf den Grundstücken zu halten“.
Mit der Ruhe im Dorf wird es auch vorbei sein, wenn die Strecke durch ihre leichtere Befahrbarkeit für immer mehr Autofahrer als Abkürzung zum Autobahnzubringer interessant wird. Und die Testfahrten der Kunden der Autoverwertung nun schon mitten im Dorf beginnen können.
Neben Aspekten der Verkehrssicherheit ist für die Anwohner der Erhalt des idyllischen Dorfbildes ein Anliegen. Für einen Strassenneubau muss eine Reihe hochgewachsener Birken gefällt werden, mehrere alte Eschen werden die Baumassnahmen vermutlich nicht überleben, stehen sie nur eine Handbreit von der Strasse entfernt.
Gerade vor dem Hintergrund einer tagtäglich zunehmenden Versiegelung von Fläche in Deutschland ist es für die Dorfbewohnern wichtig, ihre lebendige, charaktervolle Pflasterstrasse zu erhalten. Schliesslich wird andernorts schon heute der für die vorpommersche Kulturlandschaft so typische Strassenbelag liebevoll und mit grossem Aufwand wieder hergestellt.
Außerhalb des Ortes verläuft parallel zur Straße ein sogenannter Sommerweg. Bei minimaler Pflege könnte er wieder den touristischen und Alltagsradfahrern zur Verfügung stehen. Die geplante Verbreiterung der Straße geht allerdings zu Lasten dieses natürlichen Weges..
Unverständlich für die Anwohner ist zudem, warum von Seiten der Gemeinde auch in finanzieller Hinsicht keine Alternativen zum Strassenneubau geprüft wurden. Das von der Bürgerinitiative eingeholte Angebot einer Reparatur der schadhaften Stellen liegt weit unter den Kosten, die auf die Gemeinde im Zuge des Neubaus zukommen werden. Die angegebenen Kosten für den Straßenneubau sind schon jetzt immens. Es ist darüber hinaus eine Kostenerhöhung für die Gemeinde zu befürchten, da der bisherige finanzielle Umfang des Straßenneubaus nur auf Schätzungen bzw. auf einer Planung aus den 1990er Jahren beruht.
Ausserdem ist bekannt, dass die Folgekosten der Instandhaltung einer Asphaltstraße ein Vielfaches der Instandhaltung einer Pflasterstraße betragen. Im Laufe der 50 Jahre ihres Bestehens sind an der Pflasterstrasse keine Instandhaltungsmaßnahmen durchgeführt worden. Eine Änderung des Strassenbelags würde die Gemeinde also auch auf lange Sicht wesentlich mehr kosten, als eine nachhaltige Sanierung des Kopfsteinpflasters. Schon der heutige, obwohl zumeist noch junge Bestand an Asphaltstrassen kann durch die Gemeinde nicht fachgerecht instand gehalten werden.
Mit Blick auf die leeren Kassen und einer Neuverschuldung der Gemeinde auch in diesem Jahr erscheint das Festhalten der Gemeinde Sundhagen am Strassenneubau absurd.

Fasst man also zusammen, ergibt sich folgendes Bild: Ein Strassenneubau steht dem Interesse der Mehrheit der Anwohner entgegen, bedeutet erhöhte Fahrtgeschwindigkeiten im Ort, eine Verminderung an Sicherheit und Lebensqualität der Anwohner, einen negativen Eingriff in das Dorfbild und kostet zudem wesentlich mehr.
Warum also dieses Festhalten der Gemeindevertretung am Neubau der Strasse, gegen den ausgesprochenen Willen der Dorfbewohner?
Was war noch mal die Begründung für die Notwendigkeit eines Neubaus?
Vielleicht gibt die Aussage eines Gemeindevertreters einen Hinweis: „das Strassenbauamt hatte 2010 noch Geld und fragte die Gemeinde, ob es ein förderwürdiges Projekt gäbe. Und da waren die alten Unterlagen zum Strassenneubau in Jeeser eben das Einzige, was noch in der Schreibtischschublade lag.“ Demokratische Mitbestimmung geht anders. Nachhaltiges Wirtschaften auch.

Update:

Der BUND veranstaltet eine Tagung zum Thema:

Wegebau unter Berücksichtigung des Natur- und Landschaftsschutzes

Warin/MVregio Öffentliche Tagung am 29. April 2011 in Warin – Sind Asphalt und Beton im ländlichen Wegebau wirklich die beste Lösung? Jährlich werden in Mecklenburg-Vorpommern viele Kilometer naturnahe Landwege ausgebaut. Dabei gilt es viele Nutzerinteressen zu berücksichtigen – seien es der Tourismus, die Landwirtschaft, der Naturschutz. Der BUND Mecklenburg-Vorpommern möchte mit einer Tagung naturnahe Lösungen des Wegebaus diskutieren, die langfristig die Haushalte der Kommunen entlasten und die Schäden an Natur und Landschaft minimieren. Zahlreiche Referenten werden die verschiedenen Aspekte des Wegebaus beleuchten. Die öffentliche Veranstaltung wird im Rahmen des BUND-Projektes Bürgerbeteiligung im Natur- und Umweltschutz in Kooperation mit dem Naturpark Sternberger Seenlandschaft am 29.04. 2011 im Naturparkzentrum Warin als 2. Praxistag „Wegebau unter Berücksichtigung des Natur- und Landschaftsschutzes“ durchgeführt. Alle Interessenten sind herzlich eingeladen. Weitere Informationen unter www.bund-mv.de bzw. unter der Telefonnummer 0385-5213390. MVregio Warin red/nwm

2. Update

MVregio zufolge war man sich am Ende der oben genannten Tagung über folgendes einig:

Straßen- und Wegebau im ländlichen Raum erfolgt oftmals ohne Konzept. Jene Gemeinden, die am intensivsten fordern, bekommen umfangreich ausgebaute Straßen- und Wege. Schutzgebiete und andere Landschaftsqualitäten sowie die Nutzungsintensität der Straßen und Wege spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle.
Straßen- und Wegebau setzt im ländlichen Raum zu oft einseitig auf teuren Asphalt und Beton. So genannte wassergebundene Straßen und Wege (Befestigung mit Kies-, Schotter-, Lehmgemischen) werden zu unrecht schlecht geredet. Sowohl Bau und Pflege sind langfristig finanziell günstiger als Asphalt und Beton.
Straßen- und Wegebau im ländlichen Raum bezieht in der Planungsphase die betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu wenig ein. Viele Anwohner würden in Anbetracht der Folgekosten für die Gemeinde auf Asphalttrassen verzichten und kostengünstigere Straßen- und Wegebauvarianten wählen. Eine Verschuldung der Gemeinden, nur um jeden Seitenweg mit Asphalt befestigen zu können, ist nicht der richtige Ansatz.

4 Kommentare bei „Natursteinpflasterstrasse in Jeeser in Gefahr *Update* *Update*“

  1. […] bauen zu können, und ständig werden ohne ersichtlichen Grund irgendwo Bäume abgeholzt und Ortsdurchfahrten zu Rennstrecken […]

  2. Sehr geehrter Herr Schlotmann, lieber Minister für Verkehr, Bau und Landesentwicklung von MV,

    Anfang Juli haben Sie also der Gemeinde Sundhagen den Förderbescheid überbracht, damit die Natursteinpflasterstrasse, die von Kirchdorf nach Jeeser und durch das Dorf führt, in eine breite Asphaltstrasse umgebaut werden kann.
    Sie sagen, dass dieser Strassenbau die „Verkehrssicherheit verbessert“. Wir Anwohner von Jeeser, die wir uns seit letztem Sommer geschlossen gegen den Ausbau der Strasse ausgesprochen haben, verstehen leider nicht, was Sie damit meinen könnten. Bislang haben wir davon profitiert, dass die Durchfahrtsgeschwindigkeit durch die Pflasterstrasse „natürlich“ reduziert wurde. Mit dem Ausbau, einer Verbreiterung und einem neuen, leichter zu befahrenden Belag, werden die Autos viel schneller durch unser Dorf fahren können. Eine Verkehrsberuhigung ist nicht vorgesehen, da Bremsschwellen und Pflastersteinstreifen laut Strassenbauamt nicht förderfähig sind. Es wird keinen Bürgersteig geben. Aus demselben Grund. Ausserdem scheint es so gut wie aussichtslos zu sein, Tempo 30 einzuführen.
    Im Dorf wohnen viele kleine Kinder, viele alte Leute, für die die Strasse in Zukunft eine Gefahr darstellen wird. Ist es da nicht zynisch von Ihnen, von einer Verbesserung der Verkehrssicherheit zu sprechen? Wir Anwohner fühlen uns ganz schön vor den Kopf gestossen.
    Da wird nun also eine Strasse gebaut, die keiner will. Wir müssen die Kosten tragen für eine Verschlechterung unserer Lebensqualität. Ihr Ministerium unterstützt ein Bauvorhaben, in dem nur ein paar wenige Einzelpersonen etwas Positives erkennen können. Die Gemeinde konnte uns nie erklären, auch auf mehrfache Nachfrage, worin die Rechtfertigung für diesen Strassenneubau besteht. Vielleicht hat man das ja Ihnen mitgeteilt? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns aufklären könnten:
    Wessen Verkehrssicherheit wird verbessert?

    Über eine baldige Antwort freut sich
    die Bürgerinitiative zum Erhalt der Natursteinpflasterstrasse in Jeeser

    1. Kaum zu glaubem dass Herr Schlotmann einfach so einen Förderbescheid überbringt. Die Förderung muss ja wohl jemand beantragt haben, und das dürfte wohl die Gemeinde Sundhagen gewesen sein. Demzufolge müsste es dort auch Menschen geben, die diese Strassenerneuerung haben möchten und die eine andere Meinung als die Bürgerinitiative haben.

      1. Hallo PeterPanther,

        so ist es mit den Gemeindevertretern. Ich glaube nicht, dass diese Strasse alle bzw. die Mehrheit wollen. Da kennt wieder Einer Einen, der Einen kennt und der profitiert vom Neubau. Wie überall und wer den Mund aufmacht, wird mundtod gemacht. So läuft es doch zu Hauf ab. Fakt ist, wenn der Bescheid übergeben ist, ist es fast unmöglich, dieses noch abzuwenden. Meine Frage hat sich die BI irgendwann mal an das Ministerium gewand bzw. irgendjemand bei den Gemeindevertretern nachgehackt? Du hast jedenfalls Recht irgendwer muss den Antrag geschrieben haben.

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