Los Angeles – Jerusalem – Greifswald

Mit Daniel Stein Kokin, dem vorgestern offiziell eingeführten Juniorprofessor für jüdische Literatur und Kultur an der Theologischen Fakultät, ist die „Wissenschaft des Judentums“ auch in Greifswald angekommen. Das Gespräch der Geisteswissenschaften wird nun durch die Disziplin der Judaistik bereichert und die Universität und damit auch die Hansestadt werden ein schönes Stück interreligiöser.

Möglich gemacht wurde diese kleine Revolution durch das beharrliche Agieren von Theologischer Fakultät, Universität und schließlich durch eine Intervention des Bildungsministers himself. So berichtete es Dekan Heinrich Assel vorgestern anläßlich der festlichen Antrittsvorlesung von Professor Stein Kokin in der historischen Aula der Universität, bei der Minister Tesch zugegen war.

Durch die würdige Reihe der Grußwortspender in der Aula wurde dieser besondere Moment markiert: Nach dem Minister sprachen zunächst der Prorektor der Alma Mater, Professor Dünkel, dann Tovia Ben-Chorin, liberaler Rabbiner aus Jerusalem/Berlin, Landesrabbiner William Wolff und schließlich der Greifswalder Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit. Denn auch die Pommersche Evangelische Kirche hat das ihre zu dieser Premiere beigetragen. Dank ihrer Zustimmung konnte zum ersten mal in Deutschland ein jüdischer Wissenschaftler eine Professur an einer Evangelisch Theologischen Fakultät übernehmen. Bisher war dafür die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche unabdingbare Voraussetzung. In seinem Grußwort erinnerte der Bischof an den epochalen Einschnitt durch die Shoa und begrüßte mit dem jüdischen Juniorprofessor auch neue kulturelle und religiöse Perspektiven für Vorpommern.

Daniel Stein Kokin, der Kalifornier in Greifswald, legte mit seiner Antrittsvorlesung „Die hebräische Frage in der italienischen Renaissance“ eine Kostprobe interkulturell-interreligiöser Gelehrsamkeit vor. Er führte die Zuhörenden anhand einiger Originaltexte in eine weitgehend vergessene Diskussion um den Stellenwert und die Dignität der griechischen, lateinischen und hebräischen Sprachtraditionen ein. Verblüffend zu hören, wie Identitätsbildung in der Mitte Europas vor über 500 Jahren vor sich ging. So bedienten sich Florentiner Gelehrte im 16. Jahrhundert zur Emanzipation des toskanischen Dialekts vom immer noch übermächtigen Latein einer kunstvollen Genealogie. Das Toskanische sei wie das verwandte Hebräisch aus der gemeinsamen aramäischen Wurzel entstanden. Professor Stein Kokins Lehrstunde in der Aula ist ein feiner kleiner Beleg dafür, dass die Wissenschaft des Judentums zur Selbstverständigung von EuropäerInnen heute einiges beizutragen hat. Mazel tow, Herr Professor!

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