Diesmal: Gesundheitsversorgung für PatientInnen statt für Lobbys
In diesen Tagen konnte man wieder sehen, was der Bundesregierung und insbesondere der FDP in der Gesundheitspolitik weitgehend fehlt: die Fähigkeit, sich von den Interessen einzelner Lobbygruppen zu lösen und das große Ganze (gerecht) in den Blick zu nehmen. Das Bundeskabinett hat den Entwurf des Versorgungsgesetzes beschlossen. Erklärtes Ziel des Gesetzes: die Gesundheitsversorgung zu verbessern und einem vermeintlichen Ärztemangel entgegenzutreten. Werden diese Ziele erreicht? Klares Nein.
Das beginnt schon damit, dass die Bundesregierung bei der Analyse scheitert. Denn die grundlegende Herausfordung für die Gesundheitsversorgung besteht nicht darin, dass es im Lande generell zu wenig Ärzte gäbe. Diesen Mangel gibt es nur regional und er ist weitgehend auf Arztgruppen wie die Hausärzte und die Psychotherapeuten begrenzt.
Die Herausforderung resultiert aus dem demographischen Wandel. Die Zahl älterer Patientinnen und Patienten mit einer oder gleich mehrerer chronischer Erkrankungen wird zunehmen. Das erfordert eine andere Art der Versorgung. Denn für diese Menschen steht weniger der heilende Aspekt der Versorgung im Vordergrund. Es geht auch weniger um die Behandlung einzelner Diagnosen. Vielmehr muss der ganze Mensch mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt rücken. Der Patient oder die Patientin muss befähigt werden, mit seinen chronischen und damit unheilbaren Erkrankungen zu leben. Zudem wird die Prävention wichtiger werden müssen.
Dieser Wandel verlangt nicht nur den Ärztinnen und Ärzten Einiges ab, er verschiebt auch die Gewichte innerhalb der Gesundheitsberufe. Denn eine solche patientenzentrierte, weniger kurativ ausgerichtete Versorgung erfordert eine Aufwertung der Hausärzte, der Pflege und anderer nichtärztlicher Professionen sowie eine andere Aufgabenteilung zwischen ihnen.
Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen (SVR) hat schon vor zehn Jahren damit angefangen, Vorschläge für mehr Vernetzung, mehr Kooperation und eine stärker an den Patienten orientierte Versorgung zu entwickeln. Unter den Gesundheitsministerinnen Andrea Fischer und Ulla Schmidt wurden wenigstens Teile dieser Empfehlungen umgesetzt.
Schaut man sich nun den Entwurf des schwarz-gelben Versorgungsgesetzes an, gewinnt man den Eindruck, als hätte es die insbesondere durch den SVR angestoßenen Debatten nie gegeben, als wäre der demographische Wandel über Nacht verschwunden. Der Gesetzentwurf setzt kaum Anreize für eine stärkere Kooperation und neue Versorgungsformen, er vernachlässigt die nichtärztlichen Gesundheitsberufe und mit unfassbarer Dreistigkeit begünstigt er Teile der ärztlichen Klientel und anderer Leistungserbringer.
Viele Wünsche, die aus dieser Richtung bislang vergeblich an die Politik herangetragen wurden, Union und FDP setzen sie um: Seit Jahren sind den Funktionären der niedergelassenen Ärzte die vor allem von Krankenhäusern getragenen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) ein Dorn im Auge. Jetzt kommt ihnen Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) entgegen, die Gründung neuer MVZs soll erschwert werden. Seit Jahren möchten die regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen den alleinigen Zugriff auf die Honorarverteilung bekommen, Union und FDP sind ihnen behilflich. Und seit Jahren versuchen die Krankenhausverbände die Beschränkungen für neue, häufig teure aber nutzlose Behandlungsmethoden aufzuheben. Auch dabei sind ihnen Union und FDP behilflich.
Mehr Geld = gute Versorgung?
Seit Jahren wird in der Öffentlichkeit kaum bekannten Gremien und durch lediglich wenigen Experten verständliche Richtlinien und Gesetze an immer neuen Schräubchen gedreht, um die ärztlichen Honorare anzuheben. Zuletzt sind sie deswegenvon 2007 auf 2010 um 17 Prozent angestiegen. Mit dem Gesetzentwurf werden nun neue Möglichkeiten geschaffen, mehr Geld ins System zu geben. Nicht dass ein ordentliches Einkommen den Ärztinnen und Ärzten nicht zu gönnen wäre, aber Zuwächse in dieser Größenordnung werden in kürzester Zeit das System der solidarischen Krankenversicherung sprengen. Zumal diese Steigerungen allein der falschen Logik folgen, dass mehr Geld eine bessere Versorgung zur Folge hat. Dafür müßten Anreize für mehr Qualität und Zusammenarbeit geschaffen, die Honorarsystematik verändert werden, damit der falsche Anreiz entfällt, möglichst viele Leistungen zu erbringen. Stattdessen muss der Arzt stärker für den gesunden Patienten belohnt werden.
Aber der Ärztemangel? Den gibt es. Aber er betrifft vor allem die Hausärzte. Und er geht einher mit erheblichen Versorgungsunterschieden (PDF, Ärzteatlas 2011 des Wido) zwischen ländlichen und städtischen Regionen, zwischen dem Norden und dem Süden Deutschlands. Während es in schon heute im Norden Sachsen-Anhalts oder Brandenburgs zu wenig Hausärzte gibt, ballen sich in Hamburg, Berlin oder am Starnberger See die Ärzte. Honorarzuschläge in unterversorgten und Honorarabschläge in überversorgten Regionen könnten ein Instrument sein, diese Situation zu verändern. Doch FDP und Union schaffen dieses Instrument wieder ab noch ehe es überhaupt scharf geschaltet werden konnte (die Kassenärztliche Bundesvereinigung hatte dies seit 2009 erfolgreich hintertrieben).
Und um dem ganzen die Krone aufzusetzen, hat die Bundesregierung mit nun vorgelegten Kabinettsentwurf des Gesetzes auch das Versprechen gebrochen, den Sozialausgleich für Menschen, die sich die steigenden Zusatzbeiträge nicht leisten können, aus Steuermitteln zu finanzieren. Auch dafür werden ab 2015 vermutlich die Versicherten mit steigenden Beiträgen bezahlen müssen.
Und Manuela Schwesig?
Auch wenn sie gekonnt einen anderen Eindruck zu vermitteln versucht, Gesundheitsministerin Manuela Schwesig hat bei all dem keine gute Figur gemacht. Statt sich im Interesse Mecklenburg-Vorpommerns für neue Versorgungsformen, mehr Kooperation zwischen den Gesundheitsberufen und die Überwindung der Trennung zwischen dem ambulanten und stationären Sektor stark zu machen, hat sie sich lediglich in die Phalanx der Bundesländer eingereiht, die mehr Mitsprache bei der Planung der ärztlichen Versorgung forderten. Das ist sicher nicht falsch, aber es geht eigentlich am Thema vorbei. Es ist jedoch nicht weiter verwunderlich, denn auch in ihrem eigenen Bundesland sprechen Schwesig und ihr Ministerium vor allem über den Ärztemangel und vernachlässigen neue Versorgungsformen und nichtärztliche Gesundheitsberufe. Das einzige von der Landesregierung unterstützte innovative Projekt das Schwesig in jedem zweiten Interview zum Beweis ihres Engagements erwähnt, das Gesundheitshaus in Woldegk, ist jedoch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Es schafft keine neuen, vernetzten Strukturen der Versorgung. Dazu wäre beispielsweise eine Anschubfinanzierung des Landes für neue Versorgungsformen nötig, wie wir GRÜNE sie fordern. Dazu wäre vor allem aber der Wille notwendig, substanziell etwas zu verändern, Gewohntes über Bord zu werfen und sich notfalls mit Akteuren im Gesundheitswesen anzulegen.
Fortsetzung folgt. Dann schreiben wir, wie die Landesregierung im Masterplan Gesundheitswirtschaft mit Hilfe einer Präventionskampagne für bessere Ernährung, Absatzförderung für ungesunde Lebensmittel machen möchte.