Die Finnlandisierung der Bildungsdebatte

Die Schulbewegung „Bildung ist Zukunft“ und die Aktion Sonnenschein luden gestern Abend zum Podium in die Greifswalder Montessori-Schule und vier Bildunngspolitiker_innen kamen. Die CDU nahm sich erstmal selbst raus, was nicht näher kommentiert zu werden braucht. Zu sehen und hören waren somit die Herren Brodkorb (SPD), Heldberg (FDP) sowie Mignon Schwenke (LINKE) und unsere BÜNDNISGRÜNE Kandidatin Ulrike Berger.

Das Konzept der Veranstaltung war wohl irgendwie didaktisch durchdacht, jedoch gleichzeitig zu ambitioniert. Die Filmbeiträge vernichteten mehr Zeit, als dass sie weiterhalfen, und eine echte Diskussion kam nicht so richtig in Gang. Die Befürchtung, es könne nicht gesittet genug zugehen, erwies sich als unbegründet. Dafür fehlte dann auch die Kontroverse, die die Unterschiede zwischen den Kandidat_innen hätte deutlich machen können. Bevor sich große Teile des Publikums zu Wort melden wollten, war die Veranstaltung auch schon zu Ende. Einiges können wir hier heute immerhin nachreichen.

Der Vertreter der FDP blieb in keiner Weise in nennenswerter Erinnerung, selbst seinen Namen musste ich heute wieder nachschlagen.

Mignon Schwenke stellte wiederum in einer kaum beachteten Bemerkung unter Beweis, dass es nicht reicht, bestimmte Begriffe zu lernen, ohne verstanden zu haben, was dahintersteckt. Denn wer behauptet, nach der Abschaffung der Hauptschule gebe es nach wie vor „den Hauptschüler“ (in der Veranstaltung wurde auch noch unerfreulich nachlässig gegendert), übersieht, dass es nicht nur um Institutionen gehen darf, sondern darum, das Schubladendenken im Bildungswesen aus den Köpfen zu bekommen. Ulrike zählte demgegenüber die Vorteile der „Schule für alle“ auf: Schüler_innen, die nicht nur funktionieren müssen, die auch voneinander lernen, wobei jede_r etwas kann.

Nett ja auch die Worte der Linke-Politikerin, sie wolle „humanistisch gebildete“ Menschen. Was hat denn ihre Partei denn von 1998 bis 2005 für die humanistischen Fächer Latein und Altgriechisch getan?

Da kennt sich Kollege Brodkorb möglicherweise besser aus und stieg zum „Beweis“ auch gleich mit Aristoteles ein. Üblicherweise zeichnete sich der SPD-Vertreter in seinen Wortbeiträgen ja durch ein beeindruckende Heißluftproduktion aus. Auch als Vertreter einer langjährigen Regierungspartei wie Oppositionsmenschen zu reden, versuchen die Sozialdemokraten immer wieder. Daher nochmal der Hinweis, dass die falschen Weichenstellungen in der der Bildungspolitik auf Entscheidungen zurückgehen, die die SPD mitgetragen hat. Der organisierte Lehrer_innenmangel durch die Schrumpfung der Greifswalder Geisteswissenschaften ist Brodkorbs höchstpersönliches Werk. Insoweit war es geradezu dreist, in Greifswald mit Aristoteles einzusteigen, nachdem man selbst zuvor dafür gesorgt hat, dass niemand mehr bei uns die Sprache, in der Aristoteles schrieb, studieren kann.

Neben solchen offensichtlichen Fällen der Selbstentlarvung fielen wie immer in schulpolitischen Debatten die ständigen Verweise auf das finnische Bildungssystem auf. Es ist ja auch schön, wenn mensch sich immer genau das herausgreifen kann, was gerade passt. Wer neunte Klassen vergleicht und feststellt, dass da die Finnen gar nicht mehr Geld ausgeben als wir, darf nicht gleichzeitig verschweigen, dass im Primarbereich die Unterschiede erheblich sind, wie Ulrike richtigerweise einwarf.

Und auf die Inhalte der finnischen Schulbildung wird meist gar nicht eingegangen. Das bedeutet zum Beispiel auch, ein anderes Verständnis zum Fremdsprachenunterricht zu entwickeln, womit wir wieder bei den Geisteswissenschaften sind. Wer sich zum Beispiel für die finnische Sprache selbst interessiert, stellt irgendwann mal fest, dass „opiskella“, das Wort für „lernen“, immer mit Partitivobjekt steht, weil es nie eine abgeschlossene Handlung bezeichnet. Das Konzept des lebenslangen Lernens ist damit schon in der finnischen Sprache angelegt.

Kompetenz für die finnische Sprache wiederum findet sich nur auf den Listen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wo eine Kandidatin für den Kreistag mit guten Argumenten darauf verweist, dass Finnisch die schönste Sprache der Welt ist.

Der Reigen der Podien wird sich heute ab 18 Uhr im St. Spiritus bei der Diskussion der Ostseezeitung fortsetzen.

Ein Kommentar bei „Die Finnlandisierung der Bildungsdebatte“

  1. Lieber Kay,

    vielen Dank für diesen sehr schönen Bericht, insbesondere weil er in Erinnerung ruft, dass die derzeitige Misere der Geisteswissenschaften in Greifswald viel größere Probleme nach sich zieht, als sich so mancher vorstellen kann (vor allem wenn er aus dem intellektuell eher einfach gestrickten Rostock kommt).

    Nicht nur die Sprache des Aristoteles können die Greifswalder Studententen ja nicht mehr studieren (schlimm genug!), sondern auch die europäischste Sprache schlechthin, Latein, die Sprache des Augustinus und Erasmus, des Vergil und Ovid ist hier dem wissenschaftlichen Zugang verschlossen. Da passt es eigentlich sehr gut in das Gesamtbild, dass auch die anderen europäischen Kulursprache, die Dantes, Voltaires und Cervantes‘ in Greifswald ausgedient haben – nach einer freilich langen Tradition.

    Muss die Universität die Grundlagenfächer der europäschen Kultur weiterhin unberücksichtigt lassen, weil man sich in Schwerin minimale Einsparungen erhofft, wo maximaler Nutzen bei meist nur einem einzigen Lehrstuhl möglich wäre, dann wird sie sich in ein paar Jahren nicht mehr unterscheiden lassen von der „Uni“ Lübeck etwa, die als anwendungsbezogene Hochschule hervorragende Schlagzeilen in der medizinischen Forschung macht, deren Professoren aber einen enormen Mangel an intellektuellem und weltoffenem Wohn- und Arbeitsklima einklagen.

    Greifswald hat als kultureller und intellektueller Kontrapunkt in einer äußerst bildungsschwachen Region eine wichtige soziale und politische Ausstrahlung auf den Landkreis; das aber kostet Kraft. Das mulitkulturelle und qualitativ hochwertige Kulturangebot in Greifswald wird – sind wir ehrlich – zu einem großen Teil von den meist kreativeren Studenten der Geisteswissenschaften getragen. Soweit ich weiß, gibt es bislang keine jährliche Kunstschau von Zahnmedizinstudenten etwa, vom „Psychologischen Klang“ habe ich noch nichts gehört, ganz zu schweigen davon, dass mir Biochemiker oder Plasmaphysiker überhaupt sehr selten auf einer Lesung, einem Konzert oder dergleichen begegnen.

    Abschließend kurzgefasst: Dass die Universität im Begriff ist, ihren Status als Volluniversität zu verspielen, weil die Philosophische Fakultät zusehends zu einem Fremdsprachen- und Medienzentrum degradiert wird, ist allein schon auf dem wissenschaftlichen Feld eine Katastrophe. Hierfür gehört die Landesregierung m.E. abgestraft. Dass diese Katastrophe aber gesamtgesellschaftliche Folgen für die Stadt und den Landkreis haben wird, weil mittelfristig das intellektuelle und ehrenamtliche Potential fehlt, um sich im struktur- und bildungsschwachen Ostvorpommern als Kulturmetropole zu behaupten, ist vielleicht nicht minder schlimm: Denn das heißt einfach, dass die Stadt weniger lebens- und liebenswert wird.

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