Anfang der Woche waren sich Grüne und Sozialdemokrat_innen öffentlich uneins darüber, wer denn nun den Mindestlohn erfunden habe. Dass der Verzicht auf die Einführung eines solchen Mindestlohns 2004 aus rein arbeitsmarktpolitischer Sicht das wohl größte Versäumnis der Agenda 2010 war, ist dabei weitgehend unstrittig. Wer 2003 und 2004 was in welcher Form gefordert hat, ist hingegen Gegenstand der politischen Deutung.
Es war Jürgen Trittin, der die Forderung nach einem Mindestlohn für sich in Anspruch genommen hat. In der SPD mochte man das nicht so gerne hören. Unterstützt wurden die sozialdemokratischen Nörgler_innen durch Ulrike Winkelmann in der taz. Sie berief sich dabei auf Aussagen von Werner Schulz und das machte einige aufmerksame Beobachter_innen umso stutziger, weil wenigstens in Fragen der Beurteilung der rotgrünen Bundesregierung von 1998 bis 2005 Schulz als alleinige Quelle nicht gerade als belastbar gelten darf. Wenn ich einen erwiesenen Kritiker zitiere, sollte ich wenigstens noch einen weiteren Beleg anführen. Der Verweis auf eine Äußerung von Markus Kurth aus dieser Zeit hilft hier nicht, denn zu der Frage, ob Jürgen Trittin oder andere Grüne die Mindestlohnforderung damals vertraten, sagt Kurth da nix und wurde dazu vermutlich auch nicht befragt.
Somit kann man mit der taz in dieser Frage wenig anfangen (weswegen sie hier auch nicht verlinkt ist). Stattdessen fand Jörg Sauskat einen Artikel der Berliner Zeitung von 2004 im Netz, der die Aussage von Jürgen Trittin bestätigt.
Ebenfalls bestätigen konnte Reinhard Bütikofer via Twitter die Erinnerung von Julia Seeliger, dass er und Claudia Roth ebenfalls die Mindestlohnforderung in die Verhandlungen mit der SPD eingebracht hatte. Wem das als Beleg nicht reicht, die und der kann sich immer noch auf Trittin stützen.
Natürlich sind damit nicht alle Fragen zu grüner Arbeitsmarktpolitik zwischen 2002 und 2005 beantwortet. Ein mangelndes Problembewusstsein ist hier ebenso Teil des Problems gewesen wie der Umstand, dass die Prioritäten seinerzeit noch anders lagen. So konnten Vertreterinnen wie die damalige arbeitsmarktpolitische Sprecherin Thea Dückert und Christine Scheel („Mittelstand“) munter irgendwelche Aussagen aus Wirtschaftsverbänden unkritisch übernehmen. Der Verweis auf das Programm von 2002, nach dem wir eine Entwicklung zum „working poor“ vermeiden wollen, was zum Beispiel Jörg Rupp dazu beisteuerte, hilft nur bedingt, da gerade die beiden genannten Protagonistinnen das damals ganz anders interpretierten als alle zuständigen Grünen und unser Programm heute.
Arbeitsmarktpolitisch haben wir BÜNDNISGRÜNEN aus den Fehlern der Agenda 2010 immerhin die richtigen Schlüsse gezogen. Allerdings war diese Agenda eben mehr als reine Arbeitsmarktpolitik. Davon handelt der nächste Beitrag.
Wollen die Grünen sich jetzt wie Merkel auf jedem verfügbaren Politikfeld ausreiten und ihr Profil weiter aufweichen? Die Arbeitsmarktpolitik gehört wohl grundsätzlich eher in die SPD, auch wenn Trittin sich irgendwann einmal dazu geäußert haben sollte.
Ich wußte gar nicht, dass es Besitzansprüche bei Themen gibt. Das Thema Gerechtigkeit ist bei den GRÜNEN schon in guten Händen.
Zum Erfinder des Mindestlohnes bitte unter Henry Ford nachsclagen