Sie hatten hier doch alles …?!

Zu unserer Aussellungeröffnung „Flucht über die Elbe“ am vergangenen Donnerstag freue ich mich über den Gastkommentar des Stralsunders Thomas Nitz von der Selbsthilfegruppe Stasiopfer. Die Ausstellung ist noch bis zum 07. Mai mittwochs von 9:30 – 17:30 Uhr im GRÜNEN Freiraum Anklam (Burgstr. 9) zu besichtigen.

Sie hatten hier doch alles…!?
180 starben an der Seegrenze der DDR

(Anklam) Mit dem ganz großen Besucherstrom hatte Ulrike Berger nicht gerechnet, als die GRÜNE Landespolitikerin, die auch Lektorin in der Greifswalder Domgemeinde ist, die Ausstellung über die Elbgrenze eröffnete. Und doch kamen einige. Sogar aus Stralsund waren Zeitzeugen angereist. „Ohne die Erinnerung können wir unsere Demokratie nicht retten“, mahnt Hildegard Hamm-Brücher, die große Liberale, im Schaufenster des Grünen Büros in der Burgstraße. Es scheint als sei es in dieser Zeit sehr nötig, das Mahnen und zudem in einer Gegend, die von der großen Politik ein wenig vergessen wurde. Man muss die Demokratie sicher zuerst dort retten, wo ihre Segnungen noch nicht ankamen. Ulrike Berger jedenfalls will das und deshalb war auch Dr. Volker Höffer von der „Gauck-, Birthler-, jetzt Jahnbehörde-Außenstelle Rostock dabei. Diktaturen sind lebensgefährlich, das möchte sie zeigen. Diktaturen die kommen, wenn Menschen wegsehen, sich einigeln, alles einfach laufen lassen. Menschen flüchten, Menschen werden erschossen, Menschen ertrinken vor Pantellaria, Menschen werden bewertet, wirtschaftliche Gründe, wie die Zukunft der Kinder, zählen nicht, manchmal zählt auch Freiheit nicht: „Sie hatten hier doch alles“, warum sind sie abgehauen? Vierhundert haben einen Strandabschnitt im Westen der DDR von 35 Kilometern überwacht, berichtet Höffer, Grenzbrigade Küste, Volkspolizisten, Stasi, auch deren Spitzel, aber vor allem freiwillige Helfer von Grenzregime und Polizei, Grenzsicherungsaktive – die Nachbarn! Die hatten sie auch, warum also sind sie abgehauen?! Klaus Draffehn von der Stralsunder Stasiopfer Selbsthilfegruppe sollte 1963 in die frisch gegründete Volksarmee gepresst werden, nahm das Faltboot Richtung Westen gegen den Sturm, landete erlahmt am Langen Werder und am Ende im Knast. Danach war er gezeichnet, bis heute. Nie wird er die Schlussstrichforderer verstehen. Die Bilanz der „feindlich negativen Angriffe (SED Jargon) auf die DDR Grenze“, die als „ungefährlicher“ galt, war ernüchternd. 5.600 Menschen versuchten die Flucht über See, 4800 wurden gefasst, 180 starben, 900 überwanden das waffenstarrende Grenzregime, das sich auch vor Verfolgungen bis tief ins Nato-Gebiet nicht scheute, und zeigten letztlich, dass es nicht unbesiegbar war. In Kopenhagen gibt es einen Friedhof, auf dem Überreste von Menschen, an irgendwelchen Kleidungsstücken als DDR Bürger identifiziert, beerdigt wurden; geborgen aus der Ostsee – in Netzen, von Stränden… Über DANN-Vergleiche sollen sie identifiziert werden. Jeder wurde ins Leben gerufen und hat einen Namen. Gut, dass es Aufarbeitung und Aufarbeiter gibt. Es ist noch so viel zu tun, um Demokratie zu retten.
Text u. Foto: Thomas Nitzulrike berger

Ulrike Berger
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