Zur jetzt ja glücklicherweise unblutig beendeten Kreissitzfrage möchte ich es mir nicht nehmen lassen, noch ein wenig Zahlensalat aus regionalgeographischer Sicht zuzubereiten. Anlass ist die vielfach geäußerte Feststellung, dass es in Deutschland ja einige Kreise gebe, deren Kreissitz sich nicht in der größten Stadt des Kreises befinde, von Michael Galander allerdings mit dem herzlich unpassenden Beispiel des Landkreises Emsland garniert.
Aber zunächst mal: Solche Kreise gibt es natürlich. Klammern wir den Sonderfall, dass die Kreisverwaltung gar nicht im Landkreis selbst, sondern in einer angrenzenden kreisfreien Stadt liegt, mal aus, ebenso den Sonderfall Neunkirchen/Ottweiler mit einem schwer durchschaubaren Konstrukt: Dann gibt es in Deutschland 87 Landkreise, deren Kreissitz in einem anderen Ort als dem nach Einwohner_innen größten liegt. In 17 Fällen ist die größte Stadt mehr als doppelt so groß wie die Kreisstadt, in fünf Fällen mehr als viermal so groß, in dieser Größenordnung liegt auch die Einwohner_innenrelation Greifswald vs. Anklam mit 4,07.
Bei genauerer Betrachtung der fraglichen Kreise fällt auf, dass fast alle zu vier Gruppen gerechnet werden können.
Einige diese Landkreise sind verglichen mit dem unseren einfach mal winzig. Fündig wird man da vor allem in Rheinland-Pfalz und Bayern, beides einst Länder mit sehr zurückhaltenden Verwaltungsreformen. Natürlich ist Boppard doppelt so groß wie Simmern (Hunsrück), das sind dann aber immer noch erst 16000 Einwohner_innen.
Ein Großteil der Kreise mit starken Abweichungen geht auf das Konto von Umlandkreisen noch größerer Städte. Stark vertreten ist Brandenburg mit den sternförmig um Berlin angeordneten Kreisen. Hier zeigen die Extrembeispiele Märkisch-Oderland und Oder-Spree aber auch, dass als Kreissitz gewählten Kleinstädte Seelow und Beeskow (oder auch Lübben) von der Vergabe der Verwaltungsfunktion strukturell nicht profitieren konnten. Bei einigen Kreisen, die komplett in Verdichtungsräumen liegen, wie Mettmann (vs. Ratingen) oder Ennepe-Ruhr (Schwelm vs. Witten) in Nordrhein-Westfalen hat die Verwaltungsfunktion nahezu keine spürbare Bedeutung.
Drittens überlassen Städte mit starkem Sekundärsektor die Ehre des Kreissitzes auch gerne etwas kleineren Nachbarorten, zum Beispiel Sindelfingen vs. Böblingen oder Albstadt vs. Balingen.
Wo die Einwohner_innenzahlen der größeren Städte nicht weit auseinanderliegen, liegt oftmals einfach nur eine ganz normale polyzentrale Struktur vor. Bei geringen Größenunterschieden muss man sich halt irgendwie entscheiden.
Dann bleibt am Ende fast nur noch der Main-Kinzig-Kreis übrig. Hier ist der erst vor sechs Jahren erfolgte Übergang des Kreissitzes nach Gelnhausen auch mit den Ambitionen der Stadt Hanau auf Kreisfreiheit zu erklären.
Das Emsland (Faktor 1,46) fällt unter die Kategorien drei und vier. Kein Grund zur Aufregung. Nur in einem Fall (Ilmenau) ist ein bedeutender kreisangehöriger Hochschulstandort als größte Stadt nicht Kreissitz. Allerdings beträgt der Faktor im Ilmkreis zu Arnstadt gerade mal 1,04, also ganz klar Kategorie vier.
Und warum noch dieser Nachgang?
Weil es mich interessiert hat und ich die Ergebnisse nicht für mich behalten wollte.