Frau Syrbe, der Nordkurier und die Tafeln

Es entbehrt nicht einer gewissen Komik – oder Tragik, ganz wie man will –, was der Nordkurier heute zu berichten weiß: Sozialagentur spendet Geschenke für die Tafel heißt es auf S. 21 des Vorpommern-Kuriers (online habe ich den Artikel nicht gefunden).

Wieder einmal schafft es der Nordkurier, einen völlig kritiklosen Artikel über das Tafelunwesen zu schreiben. Bei den Zeitungen in der Region scheint dies aber eine gewisse Tradition zu haben. Dass aber auch Landrätin Syrbe (Die Linke!) kein Wort der Kritik verliert, finde ich beschämend.

Ich darf mich wiederholen: Der Respekt und die Menschenwürde der Hartz IV-Geknechteten bleibt bei der kritiklosen Betrachtung von Tafeln auf der Strecke. Was hat es mit Würde zu tun, wenn die Armen von den Abfällen der Reichen leben? Vom Imagegewinn für die Handelsunternehmen, die schließlich was Gutes tun, mal abgesehen. Da hilft auch der Euphemismus des Geredes vom “Kunden” nichts. Stefan Selke, Soziologie-Professor an der Uni Furtwangen und einer der bekanntesten Kritiker der Tafeln in Deutschand, spricht von einer Verstetigung statt Bekämpfung der Armut in Deutschland durch das Tafelsystem. Selbst der Vorsitzende des “Bundesverbandes Deutsche Tafel e.V.” meint, dass es doch besser wäre, wenn die Tafeln überflüssig wären.

Etwas Tragik-komisches hat es aber, wenn diejenigen, die das SGB II mit all seinen Härten (Sanktionen) umsetzen [müssen], denen spenden, die davon betroffen sind. Tafeln stabilisieren nämlich das System “Fördern und Fordern”. Sanktionen bzw. Kürzungen des ALG II, die zu einer Unterschreitung des Existenzminimums führen (das vom Gesetzgeber definierte soziokulturelle Existenzminimum ist die 100 %ige ALG II-Leistung), können, ohne das sich irgendwelche SachbearbeiterInnen großen Gewissensbissen hingeben müssen, mit dem Hinweis auf die Existenz der Tafeln verhängt werden. Da schert es dann auch nicht, dass viele Sanktionen rechtswidrig sind.

Die Entwicklung der „Tafeln“ dokumentiert die Armutsproblematik, die mit Einführung des SGB II verbunden ist: Seit Einführung der Hartz-Gesetze, und hier insbesondere das Hartz IV-Gesetz im Jahr 2005, hat sich die Zahl der Tafeln in der Bundesrepublik von 430 im Jahre 2004 auf 891 im Jahre 2011 mehr als verdoppelt. Allein in Mecklenburg-Vorpommern gibt es 25 Tafeln. Allein dies hätte Erwähnung finden müssen.

Übrigens: Ich habe großen Respekt vor jedem und jeder, der/die ehrenamtlich helfend tätig ist oder spendet.

9 Kommentare bei „Frau Syrbe, der Nordkurier und die Tafeln“

  1. Dazu passt, dass Containern sich nach wie vor in einer rechtlichen Grauzone befindet, obwohl es hier wie bei den Tafeln um die Verwertung von Wohlstandsabfällen geht. Dabei müsste es im Sinne der Hartz-IV-Ideologie eigentlich gefördert werden, weil hier schließlich eine bedeutende „Eigeninitiative“ der Betroffenen vorliegt.

  2. Eine Gesellschaft des „Iß-oder-ich-muß-es-wegschmeißen“ braucht keine Suppeküchen, damit die Notleidenden das aufbrauchen, was die Bessergestellten von ihren Tellern fallen lassen – eine solche Gesellschaft braucht staatliche Garantien, muß den Bedürftigen Gewissheit geben, dass sie an Qualität nicht zurückzustecken haben, nicht zweifelhaft gewordene Produkte verdrücken müssen, um nicht Hunger zu leiden. Die Tafeln können ein Umdenken der Teilhabe nicht bewirken, sie mehren nur den Irrglauben einer falschen, weil vollkommen durchrationalisierten Form des Teilens; eine Form, die besagt: Du kommst noch kurz vor dem Mülleimer; Du bist nützlich, weil Du die Müllhalden fressend verkleinerst; Du bekommst, was uns nicht mehr gut genug ist! Die Tafeln helfen zweifelsohne vielen Menschen, dennoch sind sie das Angesicht des „schlecht Gegebenen“, sind sie Träger eines irrigen Denkens und Handelns – sie postulieren nicht Mildtätigkeit die vom Herzen kommt, sondern vernünfteln sich eine Mitmenschlichkeit zusammen, indem sie erzählen, dass es ethisch wäre, schlecht gewordene Lebensmittel an Arme weiterzuverteilen. Die Reste wurde auch schon im Mittelalter an die Bevölkerung weitergeleitet. Man möchte doch hoffen, dass diese Mittelalterlichkeit in einer Zeit, da jeder Mensch mit frischen Lebensmitteln satt zu bekommen wäre, kein Modell für die Zukunft ist.

    http://ad-sinistram.blogspot.de/2008/11/es-mu-sowieso-raus.html

  3. Tafelunwesen?! Unter welcher Regierung wurde HartzIV eingeführt?
    rot/GRUEN!

  4. @Peter: Stimmt!

  5. Und welche Regierung schafft es nicht ab?

  6. Und irgendwie auch süß, wie manche Leute jetzt immer „ihre“ Landrätin verteidigen müssen.

  7. @KayKarpinsky

    Irgendwie nicht süß: Rot-Grüns vergessenes Erbe

    Die rot-grüne Bundesregierung etwa stellte zwischen 1998 und 2005 die deutsche Gesellschaft buchstäblich auf den Kopf. Sie förderte Lohnsenkungen, verhalf Unternehmen zu höheren Gewinnen, sorgte mit Steuersenkungen für mehr Reichtum für Wohlhabende und schuf mit den Beiträgen der vielen, die jetzt privat für ihre Rente vorsorgen müssen, einen Kapitalmarkt und damit Geld, das Anlage­möglichkeiten sucht. Also genau jenen Treibstoff, den die entfesselte Finanzindustrie für ihre waghalsigen Geschäfte benötigte.

    Wahrscheinlich hat kein Rot-Grüner dies so geplant. Doch die andere Erklärung ist nicht viel besser: Vermutlich war die letzte rot-grüne Regierungskoalition schlichtweg zu unbedarft, um die Zusammenhänge und die Folgen ihres Tuns in ihrer ganzen Tragweite zu begreifen.

  8. Wer hierzulande einmal in Not geraten ist, hat schlechte Karten, seiner Lage zu entrinnen. So lautet ein zentraler Befund einer am Dienstag in Berlin vorgestellten Studie der Nationalen Armutskonferenz (nak). Der Zusammenschluß der großen Wohlfahrtsverbände, der Kirchen, des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und deutschlandweit tätiger Sozial- und Selbsthilfeinitiativen sieht als Hauptursache der sich verfestigenden Armut schlecht bezahlte und prekäre Jobs. Angesichts von rund vier Millionen Menschen, die weniger als sieben Euro pro Stunde verdienten, bestehe akuter politischer Handlungsbedarf, mahnte nak-Sprecherin Michaela Hofman.

    http://www.jungewelt.de/2012/12-19/053.php

  9. […] Namen verdient, kommt er nicht. Was sagen eigentlich die Tafeln und PolitikerInnen unserer Region, die so gerne die Tafeln besuchen, zur Idee, Bedürftige mit Ausschussware zu füttern? Wäre doch mal eine lohnende Recherche für […]

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