Nachdem die ARGE Stralsund begonnen hat, gegen den Missbrauch von Sozialleistungen nach dem SGB II durch Arbeitgeber auf dem Klagewege vorzugehen, ist das Thema „Aufstocker“ in aller Munde. Der Kreistag Ostvorpommern und die Greifswalder Bürgerschaft behandelten beide am gestrigen Montag Anträge, die verlangten, dem Stralsunder Beispiel zu folgen. In Greifswald wurde der Antrag eingebracht von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, nachzulesen hier, bemerkenswert auch die klare Formulierung im Antragstext.
Im Kreistag gab es im Vorfeld leichtes Gemaule der SPD, weil noch im Dezember ein ähnlicher Vorstoß durch CDU und andere abgeblockt wurde. Nun konnte es sich jedoch auch die CDU nicht mehr leisten, untätig zu bleiben und sprang auf den fahrenden Zug auf. Durchaus unterschiedliche Motive spielten eine Rolle, so witterte die Abteilung Usedom, die die Welt stets aus der Perspektive des Hotel- und Gaststättengewerbes betrachtet, in erster Linie eine willkommene Gelegenheit, gegen unlauteren Wettbewerb vorzugehen. Dazu war der Antrag in typischem CDU-Deutsch und damit ziemlich umständlich formuliert. So musste der Vertreter der Sozialagentur auf zweimalige Nachfrage des Abgeordneten Bartelt (FDP) erläutern, dass der vorliegende Antrag auf die Beschreitung des Klageweges hinauslaufe. Am Ende stimmten alle zu, auch die FDP.
Da es in Anklam zwei Stunden früher losgeht, konnten die Ostvorpommern also vorlegen. In Greifswald entwickelte sich die Debatte der von Stefan Fassbinder eingebrachten Vorlage anders. Zunächst versuchte der Zweite Stellvertreter des Oberbürgermeisters zu mauern (alles, was von Grün kommt, ist offenbar verdächtig), anschließend erklärten sich fast alle im Grundsatz einverstanden, ausgenommen die FDP. Das hatte wiederum eine Darstellung des Berliner Koalitionsklimas mit kommunalen Mitteln zur Folge, denn gerade die Vertreter der CDU setzten sich für die Vorlage ein. Sebastian Ratjen stellte umgekehrt fest, ihm ginge es nicht um den städtischen Haushalt. Gut, dass man in der FDP jetzt auch selbst die eigenen Defizite festzustellen scheint.
Ganz Vorpommern ist von Gegnern des Sozialmissbrauchs durch Dumpinglöhne besetzt. Nur die Greifswalder FDP leistet erbitterten Widerstand.
„Wenn rauskommt, wie was reinkommt, komme ich wo rein, wo ich nicht mehr rauskomme.“ Friedrich Halstenberg
Hartz IV runter oder Löhne rauf?
http://frontal21.zdf.de/ZDFde/inhalt/1/0,1872,1001633,00.html?dr=1
Liebe Grüne, lieber Kay,
da ist einiges durcheinandergeraten in deinem Beitrag.
Die FDP Greifswald leistet keineswegs „erbitterten Widerstand“ gegen den Anti-Lohndumping-Kampf.
Im Gegensatz zu den Grünen hat die FDP Greifswald ein zweistündiges Gespräch mit dem ARGE-Leiter zu diesem Thema geführt. Hättet ihr das vor der Antragstellung nur auch mal getan, dann würden die Argumente und Einwände seitens Dembski und FDP-Fraktion klarer sein.
Die ARGE Greifswald geht (als erfolgreichste ARGE im Ranking, im Gegensatz zur Stralsunder) mit unterschiedlichsten Mitteln bereits rigoros gegen Lohndumping vor. Der Punkt ist, dass hierbei die Mittel und Wege selbst gewählt werden. Der Klageweg ist hierbei einer der ineffizientesten! Selbst der Stralsunder ARGE-Leiter empfiehlt diese Vorgehensweise für die Greifswalder ARGE ausdrücklich nicht.
Und was die FDP Greifswald u.a. meinte in der Debatte ist der Punkt, dass der Klageweg rein finanziell sich nicht lohnt für die Stadt. Hier schien mir auch der größte Irrtum in der Begründung von euch zu liegen. Das Geld, das in Stralsund erklagt wurde, entspricht der Vermittlung in den Arbeitsmarkt von lediglich etwa 7 Bedarfsgemeinschaften. Nun soll die ARGE also das doppelte oder dreifache an Ressourcen und Geld in Klagen stecken und dabei das eigentliche Aufgabenfeld vernachlässigen. Wäre es also nicht sinnvoller, diese 7 Bedarfsgemeinschaften in Arbeit zu bringen anstatt etliche NICHT integrieren zu können, weil die Ressourcen fehlen? Mal bitte drüber grübeln…
Darüberhinaus hat man in Stralsund den Effekt beobachtet, dass die Lohndumping-Arbeitsverträge nichts weiter als von ihrer Stundenzahl „korrigiert“ wurden. Der Lohn blieb also gleich, nur die Stunden wurden heruntergesetzt, so dass augenscheinlich kein Lohndumping mehr vorliegt. Das Argument, dass so eine öffentliche Prävention gegen Lohndumping erzielt würde, ist empirisch widerlegt worden. In vielen Fällen hat man sicher sogar den Arbeitnehmern geschadet, da eben nicht auf Beschwerden dieser hin geklagt wurde, sondern rein auf die städtischen Finanzen geachtet wurde (mit fraglichem Resultat). Die FDP Greifswald schlägt also äußerst berechtigt vor, Beratungen für Betroffene anzubieten statt über deren Köpfe hinweg Resultate anzustreben, die in KEINEM Punkt irgendwem helfen.
Wobei ich mich dann immer wieder frage, warum es nicht gleich der viel schlichtere Mindestlohn sein soll. Wer den ablehnt, kann in diesem Punkt einfach nicht glaubwürdig argumentieren.
Dass der Klageweg nur eine Maßnahme von mehreren sein soll, ist, glaube ich, in diesem Punkt unstrittig. Allerdings ist es derjenige, an dem das Interesse der öffentlichen Hand direkt berührt wird, weil ihr durch diese Variante des Sozialbetrugs ein messbarer finanzieller Schaden entsteht. Allein deswegen wäre es falsch, auf die Klageoption (vielfach hilft es schon, wenn die Drohung im Raum steht) zu verzichten.
Im übrigen halte ich die Annahme für reichlich blauäugig, die Arge würde ALG II-Bezieher in deren Sinne umfassend beraten, wenn sie nur darum bittet. Am Ende gelangt man erfahrungsgemäßdoch wieder an den Punkt, wo man als falsch beratener Aufstocker gegen die Arge klagen müsste.