Beschwichtigungsrhetorik

Wer sich über den GAU in Japan beziehungsweise die dortigen Reaktorunfälle umfassend und detailliert informieren möchte, steht in diesen Tagen vor einem Problem. Wesentliche Informationen sickern genauso wie Caesium-137 und andere radioaktive Substanzen unstrukturiert und unkoordiniert nach außen. Das ist bei Betreibern von Atomanlagen zwar nicht anders zu erwarten gewesen, bleibt aber nichtsdestotrotz in hohem Maße ärgerlich.
Exemplarisch sei eine Meldung aus dem Ticker von Spiegel online zitiert:
[17.43 Uhr] Greenpeace hat der japanischen Regierung vorgeworfen, entscheidende Details zum Atomunfall zu verschweigen und so die Menschen massiv zu gefährden. „Es ist unverantwortlich, wie die japanische Regierung und die Betreibergesellschaft dort ihre Informationspolitik betreiben“, sagte ein Sprecher. Die AKW seien abgesperrt, es gebe keine unabhängigen Messungen der ausgetretenen Radioaktivität und „keine Berichte der Regierung und der Betreibergesellschaft, denen man trauen kann“
Für die verbreitete Beschwichtigungsrhetorik bedarf es eigentlich einer Lese- und Übersetzungshilfe. Und Äußerungen von Atomkraftbefürworter_innen grenzen bei genauer Betrachtung ans Lächerliche. Beispiele:
Die Unworte in diesen Tagen lauten „bislang“, „derzeit“ und „noch“, sie bilden regelmäßig eine Reihe, welche ein Unglücksereignis begleitet. Wenn also Abweichungen von der Normalität nicht mehr verborgen werden können, heißt es zunächst, „bislang“ sei noch nichts Schlimmes passiert. Damit bewegt man sich in jenem Moment auf der sicheren Seite, denn es wird schließlich nur eine Aussage zur Vergangenheit getroffen. Wirklich hilfreich ist das nicht. In der nächsten Stufe wird dann verlautbart, „derzeit“ habe man alles im Griff. Die Verwendung einer Vokabel, die für überlegtes Handeln steht, soll beruhigend wirken. In Wirklichkeit heißt „derzeit“ nur, dass mit einiger Wahrscheinlichkeit von einer Änderung des Zustands ins Negative auszugehen ist. Sobald es dann mit der Ruhe vorbei ist, müssen vier Buchstaben reichen und das „derzeit“ weicht einem „noch“. Mit anderen Worten: Das Protokoll der aktuellen Messung mit weit überhöhten Werten in dreifacher Ausfertigung muss nur „noch“ seinen Stempel erhalten.
Die Grenzen des ursprünglichen Bedeutungsfeldes überschreitet wiederum in beeindruckender Weise die Phrase „unter Kontrolle“. Es ist faszinierend, was man heutzutage alles damit machen kann. Nach dem Austritt von Radioaktivität, einer Knallgasexplosion und dem nach wie vor im Ergebnis offenen Versuch, Reaktoren mit partieller Kernschmelze behelfsmäßig mit Meerwasser zu kühlen, ist immer wieder zu lesen: Die Situation ist „unter Kontrolle“. Aha.
Ungewollt komisch ist es wiederum, wenn zum Beispiel Markus Söder (CSU) stammelt: „Eine solche Katastrophe konnte keiner vorhersehen.“ Welch eine Überraschung, möchte man ihm zurufen. Aus aktuellem Anlass sei daher nochmal an eine Grundregel tektonischer Großereignisse – vergleiche auch Geographie, Klasse 10 und 11 – wie Erdbeben und durch sie ausgelöste Tsunamis verwiesen: Man kann sie nicht voraussehen.

Atomkraft abschalten!

Bildquellen

  • Atomkraft? Nicht schon wieder!: Bildrechte beim Kreisverband

Ein Kommentar bei „Beschwichtigungsrhetorik“

  1. Eine onlinefrische Auseinandersetzung mit dem „alternativlosen“ Geschwafel unserer Bundeskanzlerin und ihrem Gefolge ist hier zu lesen:
    „Kernschmelze für die Union“
    http://www.nachdenkseiten.de/?p=8672
    Wer möchte, kann die Diskussion dazu im „Spiegelfechter“ verfolgen!

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