Ja, ich möchte auf dieses Privileg verzichten

Unter dem Hashtag #aufschrei twittern seit drei Tagen Frauen und Männer über alltäglichen Sexismus. Ausgelöst hat das die Stern-Autorin Laura Himmelreich mit einem Artikel über das sexistische Verhalten des FDP-Politikers Rainer Brüderle.
Es geht nicht in erster Linie um Brüderle, dafür ist er und seine Partei mir nicht wichtig genug.
Es geht um alltäglichen Sexismus. Und der ist, wie unter anderem meine Chefin mir gegenüber richtigerweise bemerkte, ein Problem von Männern. Frauen werden mit dem Problem konfrontiert, als Betroffene. Die handelnden Personen hier sind aber Männer.
Grund genug, dass in der #Aufschrei-Debatte einige Frauen den deutlichen Wunsch geäußert haben, dass sich bitte auch Männer ausführlich dazu äußern möchten, damit eine richtige Debatte entsteht, in deren Folge sich vielleicht auch was ändert. Da ich bei Twitter eine quotierte Timeline führe, blieb mir auch das nicht verborgen und ich habe mal versucht, ein paar meiner Gedanken dazu zu sortieren.

Mit dem Zwischenergebnis bin ich selbst noch nicht so richtig glücklich. Als Mann muss ich zunächst mein eigenes aktuelles und früheres Verhalten hinterfragen. Die Erkenntnis, selbst auf diesem Gebiet auch einiges falsch gemacht zu haben, ist ärgerlich, zumal ich im Moment noch nicht weiß, wie ich das konkret und angemessen formulieren kann. In dieser Hinsicht ist der Text daher unvollständig. Ich kann gleichzeitig nicht den Anspruch erheben, aus einer moralisch komfortablen Position schreiben zu können.

Andererseits ist für mich klar: Mich stört Sexismus doch auch erheblich und möchte daher gerne mehr dagegen unternehmen.

Die Abwehrreaktionen auf die Kritik an Brüderle (der hier in erster Linie ein besonders offensichtliches Beispiel darstellt) und die mangelnde Einsicht vieler zeigen dabei: Hier fühlen sich Männer angegriffen, weil ein gruppenspezifisches Privileg in Frage gestellt wird. Das Privileg, dass sich Männer generell oder in bestimmten Kreisen Frauen gegenüber unsanktioniert herablassend äußern und danebenbenehmen dürfen, wurde lange nicht mit ausreichender Vehemenz in Frage gestellt. Das könnte sich jetzt ändern. Das macht die Sache aber auch nicht leichter. Denn durch eine Frage wie „Wäre es nicht schön blöd, wenn wir Männer von uns aus auf Privilegien verzichten?“ wird ja gerne eine Art unsichtbarer Gruppenzwang aufgebaut, der viele Männer daran hindert zu sagen: „Ja, ich möchte auf dieses Privileg verzichten.“ Und zwar deswegen, weil es durch nichts gerechtfertigt ist, sondern im Gegenteil die Gesellschaft zerstört. Wer solche Privilegien weiter rechtfertigt, muss auch in Kauf nehmen, selbst mal der Dumme zu sein, weil er seinerseits zu einer unterprivilegierten Gruppe gehört.

Das heißt aber auch: Sämtliche Versuche, den #Aufschrei zu relativieren, mit dem Hinweis, es gebe ja auch andere benachteiligte Gruppen, laufen ins Leere. Sexismus entgegenzutreten hilft diesen anderen Gruppen schließlich auch.

Die quotierte Timeline fragte mich und andere nach Lösungen, die Männer anbieten können, um sexistisches Verhalten in der Gesellschaft zurückzudrängen. Hier mal ein paar Angebote.

Am Anfang steht die Quote, und zwar in möglichst allen gesellschaftlichen Bereichen und Gruppen, die sich quotieren lassen. Bedeutung und Wirksamkeit der Quote zur Bekämpfung von Sexismus sind enorm. Die Quote bewirkt, dass überall genügend Frauen mit am Tisch sitzen und trägt schon dadurch dazu bei, dass sich Männernetzwerke nicht mehr so gut entwickeln können. Die Quote bewirkt auch einen Wandel der Diskussionskultur. Frauen, die aufgrund des dort vorherrschenden männlichen Dominanzverhaltens gar keine Lust haben, in bestimmten Gremien mitzumachen, können erst durch die Quote für eine Mitarbeit gewonnen werden. Übrigens sind Landes- und Kommunalparlamente hier in besonderem Maße betroffen, weswegen eine verpflichtende Quote für Wahllisten unbedingt dazugehört. Und als Mann muss ich meinen eigenen Auftritt und mein eigenes Debattenverhalten in gemischten Gruppen ständig hinterfragen.

Weiterhin muss die Regel gelten: Wer als unbelehrbarer Sexist bekannt ist, wird nicht unterstützt, auch wenn es vordergründig um andere Themen zu gehen scheint. Hier zu denken, man könne den Sexismus im Einzelfall ausblenden, ist aber falsch. Denn ein Großteil der potenziell Interessierten wird keine Lust haben, mit Sexisten zusammenzuarbeiten. Dadurch schade ich der Sache insgesamt, indem ich ihr an Gewicht nehme. Wenn uns etwas wichtig ist, muss daher gelten, dass wir Sexisten davon fernhalten müssen. Wenn sie irgendwann die Lust verlieren, verlassen sie möglicherweise die Organisation mit großem Getöse. Die Organisation wird das aushalten.

Ein Ziel muss schließlich lauten: Wenn Männer unbedingt so weitermachen wollen wie bisher, dann müssen die entsprechenden Netzwerke ins Leere laufen. Der Sexismus, der nicht mit Machtausübung verbunden werden kann, ist unattraktiv.

Generell muss gelten: Distanzlosigkeit ist zu ächten. Wieviel Nähe erlaubt ist und wieviel Distanz sein muss, bestimmt jede und jeder selbst und individuell. Diese individuelle Grenze ist zu respektieren. Und wenn sie, was vorkommt, versehentlich unterschritten wird, hat da eine Bitte um Entschuldigung zu stehen und keine relativierende Rechtfertigung, verbunden mit einem herablassenden Tonfall. Diese und ähnliche Unsitten stehen am beginn vieler Respektlosigkeiten, weswegen schon hier die Bekämpfung sexistischer Verhaltensweisen beginnen muss.

Und schließlich: Ein Großteil des alltäglichen Sexismus ist verbaler Natur. Mit einem bewussten und reflektierten Sprachgebrauch können wir schon viel Sexismus im Alltag abbauen. Das fängt übrigens damit an, das sogenannte „generische Maskulinum“ endlich mal auf den Müllhaufen der Sprachgeschichte zu schicken.

Ein Kommentar bei „Ja, ich möchte auf dieses Privileg verzichten“

  1. Ich bin ein Mann in den besten Jahren, also unter 40, beruflich ziemlich erfolgreich und habe vor lauter Erfolg bisher weder eine Ehefrau noch Kinder. Dabei gibt es so viele wunderschöne Frauen, die alleine durchs Leben gehen. Obwohl das so nicht richtig ist. Sie gehen selbstbewusst durchs Leben und schon gar nicht allein. Sie haben meist einen großen Freundinnen-Kreis, gehen alleine ins Theater, buchen Singlereisen und haben keine Angst vor scheelen Blicken. Nein, Mauerblümchen sind das nicht.

    [Link wie immer gelöscht, weil ich ihn nicht auf mögliche strafrechtliche Inhalte hin überprüfen möchte. Für so etwas daher bitte künftig eigenes Blog nutzen.]

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