Aufbau Ost 2019

Angeregt unter anderem durch diese Zukunftsvision, die mir (siehe Kommentare) ein wenig südlastig anmutete, habe ich beschlossen, auch noch andere Landesteile entsprechend zu beleuchten.

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Auch 30 Jahre nach der politischen Wende lässt die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West weiter auf sich warten. Zu den Grundproblemen – schwaches wirtschaftliches Fundament und ungüstige demographische Entwicklung – kam alsbald die zunehmende politische Zersplitterung als Erschwernis hinzu.

DRESDEN – Das Ergebnis der sächsischen Landtagswahl im Herbst 2019 steht beispielhaft für die verworrene Situation. Auch unter Einschluss der mit 34% nach wie vor starken CDU sind nur noch Dreierkoalitionen denkbar. Dem neuen Landtag gehören mit CDU, Linke, Freien Wählern, Grünen, NPD, FDP, der CDU-Abspaltung USU (Unabhängige Sächsische Union) und der doch noch knapp über die Fünfprozenthürde gerutschten SPD acht Parteien an, die Regierungsbildung ist noch in der Schwebe. Eine parteiübergreifende Initiative unter Einschluss auch von CDU-Mitgliedern, die den grünen Senior Werner Schulz als Ministerpräsidenten vorschlug, scheiterte, nicht zuletzt an Schulz selbst. Der gerade aus dem Europaparlament ausgeschiedene 69-jährige prangerte dagegen in einer vielbeachteten Rede „Kirchturmdenken und unwürdiges Geschachere“ in der sächsischen Politik an, der er als „Feigenblatt“ nicht zur Verfügung stehen wolle.

ERFURT – In Thüringen muss Wahlsieger Bodo Ramelow (Linke) weiter auf das Ministerpräsidentenamt verzichten. Nach dem verpassten Landtagseinzug der Freien Wähler blieb der „Deutschland-Koalition“ von Ministerpräsident Mohring (CDU) eine knappe Mehrheit, nachdem die SPD für einen Verbleib in der Regierung votiert hatte. Drei Minister für 9,4% seien ein überzeugendes Verhandlungsergebnis, so Landeschef Carsten Schneider. Ramelow zögert indessen weiterhin, den ihm angetragenen Vorsitz der Bundespartei zu übernehmen. Zuvor hatte es Absetzbewegungen des amtierenden Vorsitzenden Bartsch gegeben. Einige von Ramelows Äußerungen zum Thema „Generationengerechtigkeit“ seien für die eigene Klientel zu neu und ungewohnt und könnten von den Rentnern als Affront empfunden werden.

MAGDEBURG – Wenig Neues aus Sachsen-Anhalt. Nachdem man sich 2016 endlich darauf verständigen konnten, der Linken als stärkster Landtagsfraktion auch das Amt des Parlamentspräsidenten zuzugestehen, erging sich die Landespolitik vornehmlich im ergebnislosen Lamento über die niedrige Wahlbeteiligung: 32% bei der Landtagswahl 2016, gar nur 27% bei der Europawahl 2019.

SCHWERIN – Neue Versuche zur Wirtschaftsbelebung und effizienteren Verwaltung im Nordosten kündigte die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern an. Wirtschaftsminister Hochheim (CDU) erklärte, den Bau der „Seenplatten-Autobahn“ gegen alle Bedenken durchsetzen zu wollen. Entschiedene Gegner des Baus wie EU-Kommissar Turmes und Bundesklimaminister Palmer seien in Wirklichkeit „Arbeitsplatzvernichter“. Auch die Koalitionspartner SPD und FDP stimmten zu. Der SPD-Landesvorsitzende Pegel äußerte, man habe „diese Kröte geschluckt“, um im Gegenzug eigene Vorstellungen zu einer effizienteren Verwaltungsstruktur umsetzen zu können. Das neue Landkreismodell sieht angesichts der auf 1,4 Millionen Einwohner gesunkenen Bevölkerungszahl nur noch drei Großkreise vor. Zur Verwaltung der nach wie vor zahlreichen Kleingemeinden sei die Einrichtung eines landesweiten „Gemeindeverwaltungsamtes“ vorgesehen. Die Grünen kritisierten eine „neue Form des demokratischen Zentralismus“, die Linke schloss sich der Kritik an.

POTSDAM – Die Landtagswahl im Herbst 2019 brachte außer leichten Verlusten der CDU auf nunmehr 16% keine einschneidenden Veränderungen. Woran die Länderfusion mit Berlin fünf Jahre zuvor gescheitert war, zeigte sich hingegen einmal mehr eindrucksvoll. Die von Teilen der Brandenburger Landesregierung abgelehnte Forderung nach einer umfassenden Aufklärung der DDR-Vergangenheit war damals die Achillesferse des Fusionsvertrages. Die Stasi-Mitarbeit späterer Verantwortungsträger war auch danach beherrschendes Thema der Brandenburger Landespolitik und ist es bis heute. Neue Vermittlungsversuche nach der jüngsten Landtagswahl, unter anderem durch Bundespräsidentin Merkel und die aus Brandenburg stammende Grünen-Bundesvorsitzende Keller, scheiterten.

BERLIN – Zwei Jahre vor der nächsten Wahl zum Abgeordnetenhaus nehmen die Diskussionen innerhalb des grünen Landesverbands zu. Weite Teile der Landespartei werfen der Regierenden Bürgermeisterin Renate Künast eine zu nachgiebige Haltung gegenüber den Forderungen des Koalitionspartners CDU vor. Die knappe Einstimmenmehrheit erscheint zunehmend bröckelig und konnte bei einzelnen Abstimmungen über kleinere Projekte nur durch die Unterstützung einzelner FDP-Abgeordneter gerettet werden. Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 80. Geburtstag von Bundestags-Alterspräsident Ströbele bildete sich eine Strategiegruppe vornehmlich aus Mitgliedern der Verbände Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln und Marzahn-Hellersdorf, die eine offene Diskussion über die Spitzenkandidatur anmahnte. Künasts Kurs der „Mitte und Verantwortung“ sei in Wirklichkeit unausgewogen und gefährde die strukturelle Mehrheitsfähigkeit der Berliner Grünen.

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2 Kommentare bei „Aufbau Ost 2019“

  1. Klingt … plausibel. Was tun wir, dass es da, wo’s weniger schön ist, nicht so kommt?

  2. […] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von Till Westermayer, Kreuzberg Tweets erwähnt. Kreuzberg Tweets sagte: Google-Blogs: Aufbau Ost 2019 – Greifswald wird Grün – http://tinyurl.com/ygs6y33 […]

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